ünktlich zur Herbstmesse kam 1536 am Basler Petersberg ein Kind zur Welt, das sich in späteren Jahren als Stadtarzt einen Namen machen sollte: Felix Platter. Seine Forschungen zur Anatomie, Psychiatrie und auch seine epidemiologischen Berichte zur Zeit der Basler Pest machten ihn über seinen Tod 1614 hinaus zu einem der wichtigsten Söhne der Stadt und europaweit bekannt.
Doch Felix war weit mehr als nur Mediziner. Bereits während seines Studiums in Montpellier erhielt er den Spitznamen «l’Alemandt du lut». Seine «verteutschten» Umdichtungen französischer Chansons und italienischer Madrigale aus eben dieser Zeit stellen einen besonderen musikalischen-philologischen Schatz dar.
Im Fokus dieses Konzertes steht die musikalische Seite dieses Universalgelehrten, die mit Gesang, Laute, Gambe und Blockflöte einmal mehr aufblühen darf.
Tessa Roos – Gesang
Ivo Haun – Gesang und Laute
Rui Stähelin – Laute und Gesang
Caroline Ritchie – Renaissancegambe
Tabea Schwartz – Blockflöte, Gambe; Konzept, Leitung
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Barfüsserkirche, Historisches Museum Basel, Fr 8.12.23, 20:15 Uhr
Stiftskirche Schönenwerd, So 29.10.23 17:00
Burgerbibliothek Bern Mo 30.10.23 19:30
Musik und Tagebucheinträge des Basler Stadtarztes aus dem 16. Jahrhundert. Liveaufnahme aus dem Konzert Dez 2023. Liedtexte auf Englisch.
Thomas Christ: Lieber Rui, du kamst in der Stadt der Schola zur Welt, dennoch nehme ich an, dass die Laute nicht dein erstes Instrument war. Welche musikalischen Erfahrungen führten dich zur Laute und zur Musik des 16. und 17. Jahrhunderts?
Rui Staehelin: Ich sang von klein auf in der Knabenkantorei, und entdeckte schnell meine Vorliebe für frühere Komponisten der Vokalpolyphonie. Zudem sagte mir der Klang der gezupften Saite schon immer sehr zu. Ich hörte mich als Jugendlicher unter anderem durch eine Kompilation von Aufnahmen des Studios der Frühen Musik durch und nahm bald danach zum ersten Mal eine Laute in die Hand – was in Basel einfacher als anderswo ist.
TC: Dem Laien fällt auf, dass die Renaissancemusiker:innen sich im Gegensatz zu anderen Interpret:innen einerseits stark mit Musikgeschichte beschäftigen und anderseits in der praktischen Arbeit gleich mehrere Instrumente beherrschen.
RS: Ja, da wir diverse Epochen und geographische Räume abdecken, sind verschiedene Instrumente gefordert, um dem Repertoire gerecht zu werden. Ausserdem sehen wir, dass das Beherrschen vielerlei Instrumente nicht unüblich war, das heisst, spezialisierte Orchestermusiker modernen Typs gab es so damals noch nicht.
TC: Im Jazz und im Barock spielt die Kunst des Improvisierens eine grosse Rolle, auch wenn heute längst nicht jede Musiker:in jenes Spiel der «Fiorituren» beherrscht. Kannst du uns etwas zu den Improvisationsmodellen der Renaissance erzählen, die dich seit einiger Zeit faszinieren? Wie frei oder unfrei waren diese Modelle?
RS: Das ist ein sehr grosses Thema, über das man ganze Bücher schreiben könnte. Wenn wir heute das Wort Improvisation hören, denken wir auch schnell an die moderne Freie Improvisation. Die Improvisation in der Renaissancemusik aber lässt sich nicht grundlegend von der Kompositionstechnik trennen. Ich wage zu behaupten, dass wenn wir heute von Improvisation in der Alten Musik sprechen, wir grundsätzlich die unmittelbare Anwendung von uns bekannten Verzierungstechniken und Kontrapunktregeln im Moment des Musizierens meinen. Dies setzt das bewusste oder auch reflexartig «Voraussehen» dieser Erweiterungen im zugrundeliegenden einfacheren Musikmaterial voraus. Sogar bei freieren Formen der Instrumentalmusik wie der Fantasia oder der Toccata werden letztendlich vor allem bekannte Techniken und Materialien rekombiniert.
TC: Eine meiner Lieblingsfragen zur Frühen Musik dreht sich um den Erfolg der Barockmusik der letzten Jahrzehnte. Sie erlebt einen regelrechten Boom sowohl am Radio wie auch auf den internationalen Opernbühnen. Die Renaissancemusik zieht bisher noch nicht das breite Publikum an. Stehen wir da am Anfang einer Wiederentdeckung? – Oder siehst du das anders?
RS: Ich glaube, dass die Musik des 18. Jahrhunderts sich leichter in den gegenwärtigen Musikbetrieb einfügen konnte, weil sie schon im Repertoire der «Klassischen» Musik vertreten war. So kommt kaum ein Pianist um J. S. Bach herum. Das Einzige, das noch hinzukommen musste, war die historisch informierte Aufführungspraxis. Formen wie die Instrumentalsuite oder die Oper zum Beispiel lassen sich viel leichter in den modernen Konzertbetrieb einfügen als etwa ein Messzyklus oder für den Privatgebrauch bestimmte Lautentabulaturen. Ob der jetzt vermehrt geförderten Barockmusik oder der Renaissancemusik eine grössere Zukunft bevorsteht, hängt nicht nur vom Publikum, sondern auch von der zukünftigen Konjunktur und Kulturpolitik ab. Mich persönlich würde vor allem interessieren, wie sich die historisch informierte Aufführungspraxis in Bezug auf Musik von ausserhalb des westeuropäischen Kulturkreises in Zukunft entwickeln wird.
Das Liederbuch von Felix Platter ist wohl die wildeste und
chaotischste Handschrift, die ich je gesehen habe. Jemand anderes
hatte die Texte abgeschrieben; dann zerschnitt Platter sie, fügte in
anderer Reihenfolge zusammen, korrigierte einige Schreibweisen
und fügte ein paar Überschriften hinzu.
Im Grunde sind die Texte mittelhochdeutsch, nicht Mundart, wie man es vielleicht von einem Basler Medizinprofessor, der in Montpellier studierte, erwarten würde; allerdings gibt es Spuren von Mundart in der Orthografie.
Die Faszination dieser Texte ist jedoch, dass so viele von ihnen darauf hinweisen, dass sie zur Musik bedeutender französischer Chansons und italienischer Madrigale des 16. Jahrhunderts gesungen werden sollen. Dazu gehören Jouissance vous donneray, Tant que vivray und Le content est riche von Claudin de Sermisy, verschiedene Chansons des wunderbaren Sandrin, Bon jour mon cuer von Lassus und das absolut erfolgreichste Madrigal des 16. Jahrhunderts, Arcadelts Il Bianco e dolce cigno.
Im Ernst, eine wunderbare Gelegenheit, so viele Meisterwerke des 16. Jahrhunderts in neuem Gewand zu hören!
Es ist fast fünfhundert Jahre her, doch auch damals stand die HerbstmessevorderTür:Am28. Oktober 1536 wird am Petersberg ein Kind geboren, das sich später als Stadtarzt einen Namen machen sollte: Felix Platter. Am Rheinknie dürfte man ihn vor allem als Namensgeber jenes Spitals kennen, dessen Neubau wiederholt Schlagzeilen machte.
Zum Glück ist Basel nicht nur für seine Mühen mit langfristigen Bauprojekten bekannt, sondern auch dafür, Musik aus archivarischen Tiefen zu ziehen, von denen niemand wusste, dass es sie gibt. Diesmal wurde man im Raritätenkabinett des 16. Jahrhunderts fündig–respektive in den Unterlagen Felix Platters.
Dieser hinterliess – neben einem umfassenden Herbarium und zahlreichen Kunstwerken – auch eine «Sammlung allerhand lächerlicher Gedichte». Darin: 67 Stücke mit metrisch exakten Übersetzungen französischer Chansons und italienischer Madrigale. Problemlos musizierbar, ist man denn der Spielarten der Renaissance mächtig.
Der «deutsche Lautenist» in Montpellier
Das Basler Ensemble unter der Leitung von Tabea Schwartz ist das wohl und bringt die «verteutschten» Umdichtungen am 8.Dezember in der Barfüsserkirche zur Aufführung. «Glickhaftig» heisst das Programm im Rahmen der Konzertreihe ReRenaissance – angelehnt an die lateinische Bedeutung von Platters Vorname: der Glückliche.
Platters Biografie fasziniere sie schon geraume Zeit, sagt Schwartz. An ihr zeige sich, dass die Lebensphilosophie der einstigen Universalgelehrten auch die musischen Disziplinen einschloss: «Das Anlegen einer Gedichtsammlung war genauso wichtig wie das eines Herbariums.»
Dies, obwohl es mit der Musik im 16. Jahrhundert in Basel wegen der vorangegangenen Reformation eher im Argen lag. Von der Kirche verlagerte sich das Musikleben in die privaten Stuben und so auch in den Haushalt der Platters.
Schon mit acht Jahren lernte Felix Platter das Lautenspiel. Sein Musikstudium nahm Platter so ernst, dass er in Montpellier den Beinamen «l’Alemandt du Lut» erhielt–für seine Auftritte wurde er jedoch lediglich mit gezuckerten Mandeln entlohnt. Als er später in Basel zu Reichtum gelangte – notabene nicht wegen seines Lautenspiels, sondern seiner Forschung – machte sein Instinkt zur Anhäufung seltener Dinge auch vor Musikalien nicht Halt: 42 Instrumente hinterliess er nach seinem Tod. Eine Liebhaberei, die ihn um die 200 Kronen kostete.
Am Petersgraben 18 fanden wohl regelmässig Hauskonzerte statt. Auch bei der eingedeutschten Liedersammlung handelt es sich um Texte zur Performanz, wie die Anweisungen für ein Trinklied deutlich machen. Es ist davon auszugehen, dass Platter nicht für sich selbst dichtete, denn: «singen schampt [schäme] ich mich», heisst es im Tagebuch. Gut gefiel ihm Vokalmusik «wo nit ze fil kunst darby gewest», er mochte also simple Solostücke lieber als komplizierte Polyphonie.
Lässt sich einrichten, finden Schwartz und ihr Ensemble. Die Lieder werden also nur mit Laute, Gambe und Gesangsstimme musiziert. Sammeln, in Bücher pressen oder hinter Glas stellen lassen sich diese Klänge nur schwerlich. Was dagegen vorzüglich gehen sollte: Hinhören und sich ausmalen, wie die Basler Mäss zur Zeit der Renaissance geklungen haben könnte.
Konzert «Glickhaftig», 8.12. um 20:15 in der Barfüsserkirche
Martinskirche
Basel
Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel
Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel
Basel, Martinskirche