Continental Connection

Ein weiteres Gesicht der Dow-Stimmbücher
So 24.03.24 Konzert 18:15

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

«Europae I», aus: Geographia (2. Ausgabe); Gerardus Mercator, nach Ptolemäus (Köln, 1584)

Die kontinentale Verbindung bei Robert Dow

D

er Ärmelkanal, bis heute der meistbefahrene Seeweg der Welt, diente im 16. Jahrhundert auch dem Austausch von Musik.

Die fünf Stimmbücher des Robert Dow sind ein wahrer Schatz für alle, die sich für Komponisten der Renaissance in England wie Byrd, White und Tallis begeistern. Die «Dow Partbooks» enthalten aber auch Werke ausländischer Komponisten, die in England von Hand zu Hand weitergereicht und in privaten Musiksammlungen festgehalten wurden. Auf diese Weise trug Robert Dow Kompositionen von Philip van Wilder, Alfonso Ferrabosco und Orlando di Lasso zusammen und stellte sie ihren englischen Pendants gegenüber.

Das Programm zeichnet die Reise dieses Repertoires musikalisch nach und lässt so erahnen, welchen Einfluss ausländische Musiker in den 1580er Jahren am englischen Hof hatten.

Brigitte Gasser, Filipa Meneses, Tabea Schwartz – Renaissancegambe
Giovanna Baviera – Renaissancegambe, Gesang
Caroline Ritchie – Renaissancegambe; Leitung
Elizabeth Rumsey – Konzept

Eintritt frei, Kollekte

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Eine von Dows lateinischen Inschriften: «Galli cantunt Itali caprizant Germani ululant Angli iubilant» (Die Franzosen singen, die Italiener meckern, die Deutschen heulen, die Engländer jauchzen.); Dow-Stimmbücher, Oxford, Christ Church, Mus. 986 (Contratenor), S. 50

Interview

Die Schweizer Gambistin Brigitte Gasser antwortet auf die Fragen von Dr. Thomas Christ

Thomas Christ: Liebe Brigitte, meine erste Frage betrifft  deinen Werdegang: Wie hast du die Gambe entdeckt oder wie hat sie dich begeistert? War das Violoncello dein Instrument der Kindheit?

Brigitte Gasser: Tatsächlich habe ich schon als Kind angefangen, Gambe zu spielen. Meine damalige Blockflötenlehrerin, eine sehr charismatische Frau, besass eine Gambe. Für mich war es Liebe auf den ersten (kindlichen) Blick. Mir war sofort klar: Das ist etwas Besonderes! Durch verschiedene Umzüge gab es dann Lehrerwechsel, auch Pausen und wieder neue Begegnungen, die mich alle weiter gebracht haben – bis hin zur Entscheidung, meinen ersten Beruf aufzugeben und mich ganz der Musik und der Gambe zu widmen.

TC: Du hast dein Gamben-Diplom vor über 30 Jahren an der Schola bei Jordi Savall erworben, warst du damals als Schweizerin an dieser internationalen Hochschule bereits ein Einzelfall? In welcher Sprache wurde unterrichtet? Wie viele Schweizer Gambist:innen waren in deiner Klasse? Spielte die Nationalität überhaupt eine Rolle?

BG: Ganz klar waren (und sind) Schweizer Studierende an der SCB ein kleine Minderheit, was auch kein Wunder ist, denkt man an die Kleinheit der Schweiz. In der Gambenklasse gab es damals nur sporadisch ein paar Schweizer Student:innen, die ein externes Aufbaustudium machten. Es war aber wunderbar und bereichernd, in diesem internationalen Umfeld studieren zu können! Unterrichtet wurde in vielen Sprachen – die Mehrsprachigkeit ist ja auch im Musikerberuf von Vorteil.

TC: Du hast im Jahre 2008 eine Gambenschule für Anfänger, ein Lehrbuch, publiziert und unterrichtest seit über 10 Jahren am Berner Konservatorium. Wie wichtig ist für deinen Unterricht das Singen mit der Gambe, also die Fähigkeit oder gar die Notwendigkeit, dass der/die Gambist:in sich selbst singend begleiten kann?

BG: Singen ist für die gesamte musikalische Entwicklung sehr wichtig! Mit den kleinen Gambenschüler:innen singen wir viele Kinderlieder und spielen dazu einfache Begleitungen auf leeren Saiten. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang; es trainiert von Anfang an die Unabhängigkeit und das Gehör. Jeder Gitarrist, der drei Akkorde spielen kann, macht das ja auch. Von da zur hohen Kunst des Singens und sich-selber-Begleitens auf der Gambe, wie Giovanna Baviera das so wunderbar macht, ist es aber ein langer Weg.

TC: Die Gamben entstanden etwa zur selben Zeit wie die Familie der Violinen, doch die optische Verwandtschaft mit dem Violoncello täuscht, die Anzahl der Saiten deuten auf eine andere Entstehungsgeschichte. Kannst du uns über die historische Herkunft der Gambe kurz etwas erzählen?

BG: Tatsächlich ist die Gambe etwa ein halbes Jahrhundert älter. Es gibt sie als ganze Familie, vom kleinen Diskantinstrument bis zum Bass – wie die Violinen. Wenn man eine Verwandtschaft sucht, dann liegt diese eher bei den Lauten. Während die Violininstrumente anfangs von professionellen Musikern gespielt wurden, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten, sind die Gamben  von Adligen und Gebildeten zu ihrem eigenen Vergnügen gespielt worden.

TC: Die Gambe ist bekanntlich aus der klassischen Orchesterbesetzung verschwunden, ist aber aus dem Repertoire der Barockmusik und generell aus dem reichen Repertoire der Frühen Musik nicht wegzudenken. So ist insbesondere das Gambenconsort eine Erfindung der Renaissance – eine kammermusikalische Erzählform, die erst wieder entdeckt wird und noch nicht auf der Erfolgswelle der Barockmusik mitschwingt. Wird es dazu jemals kommen? Wie beurteilst du die Entwicklung der Wiederentdeckung der Renaissancemusik?

BG: Als sich das Barockorchester um die Mitte des 17. Jahrhunderts bildete, bestand es im Kern aus den Violininstrumenten. Die Gambe wurde darin nur als Spezialinstrument eingesetzt – zum Beispiel in der Passionsmusik. Aber schon einiges früher, noch in der Renaissance, entstanden in verschiedenen Instrumentenfamilien sogenannte Consorts  – unterschiedliche Grössen des gleichen  Instrumententyps bildeten dabei zusammen einen Klangkörper, ähnlich wie ein Gesangschor, in dem die Umfänge von tiefen, mittleren und hohen Stimmen zusammenkommen.

Im England des späten 16. und 17. Jahrhundert, zur Zeit von Robert Dow, war es für wohlhabende und adlige Familien üblich, ein „Chest of Viols“ zu besitzen, also ein vollständiges Gambenconsort mit zwei Diskant-, zwei Alt- und zwei Bassgamben. Die ganze Familie musizierte darauf, inklusive Hausangestellte! Die Gambe spielte auch in der musikalischen Ausbildung der Choirboys eine grosse Rolle. Im Barock war dann vor allem die Bassgambe noch als Soloinstrument sehr verbreitet und das Consortspielen geriet in den Hintergrund.

Bei der Wiederentdeckung der Alten Musik und der Gambe am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden beide Traditionen aufgegriffen. So gibt es heute eine lange Tradition des Consortspielens sowohl unter professionellen Musikern wie unter Amateuren. Wichtig ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten auch der historische Instrumentenbau enorm entwickelt hat: Die Instrumente, die wir heute spielen, sind klanglich ganz anders als vor 50 Jahren und es gibt eine grosse Vielfalt von historisch unterschiedlichen Instrumenten, abgestimmt auf das jeweilige Repertoire.

Dass ReRenaissance in Basel eine exklusive Bühne für diese Musik bietet, ist wunderbar!

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Kolumne

«Ich bin dabei!» – Continental Connection

Von David Fallows (Übersetzung Marc Lewon)

Gemäss einer altbekannten Schnapsidee ist William Shakespeare nur das Pseudonym für eine wesentlich bedeutendere Persönlichkeit (der Lieblingskandidat dafür ist aktuell der Earl of Oxford) und das Hauptargument dafür ist in der Regel, dass nur ein reicher Tourist all die Orte in Italien und Frankreich kennen könne, über die Shakespeare so selbstbewusst schreibt.

Je nun: ein einfacher Blick in die Dow-Stimmbücher bietet eine gute alternative Erklärung. Neben seinen exquisiten Abschriften der Musik Byrds und seiner englischen Zeitgenossen hat Robert Dow auch viel Musik von nicht-englischen Komponisten in seine Sammlung aufgenommen. Einige von ihnen, wie Ferrabosco und van Wilder, lebten tatsächlich in England, andere hatten keinerlei Grund, das Land jemals zu besuchen. Die Musik gelangte über verschiedene Kanäle nach England, aber das Wichtigste ist, dass sie bekannt war und geschätzt wurde. 

Natürlich muss man über einige Zuordnungsfehler lachen, die Dow unterliefen, als er Werke von Verdelot und Maillard Christopher Tye zuschrieb und Werke von Vincenzo Ruffo einem gewissen Francesco Mocheni (sogar zweimal: wer ist das? Ich habe keine Ahnung). Nichtsdestotrotz bietet dieses Konzert einen wunderbaren Einblick in das, was ein gebildeter Engländer von der Musik seiner Zeitgenossen jenseits des Kanals kannte und liebte. Es gibt natürlich noch viel mehr, das von anderen englischen Musikern dieser Zeit kopiert wurde, darunter John Baldwyn und Francis Tregian; aber bekommen wir Einblick ein einen Aspekt der Musik Englands, dem nur selten hörbar nachgeforscht wird. 

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