Ite, sospiri …

Die klingende Poesie des Serafino von Aquila (1466–1500)
So 25.07.21

Barfüsserkiche
Historisches Museum Basel

«Ite, sospiri ...» - Die klingende Poesie des Serafino von Aquila (1466–1500)

A

ls Freund von Josquin des Prez und bekennender Petrarkist wurde der Dichter und Musiker Serafino Aquilano selbst zur Koryphäe seiner Zeit. Doch sein Erbe geht mit einer gewissen Melancholie einher, denn sein eigentlicher Ruhm liegt in der allzu vergänglichen Kunst der Improvisation. Glücklicherweise ist genug seiner Musik und Dichtung erhalten, um den meisterlichen Ruf zu rechtfertigen und uns ein Fenster in diese blühende Kunst der Renaissance zu öffnen. Harfe, Laute und Viola eignen sich damals wie heute zur Begleitung von Strambotti und Barzellette. Und mit dem ätherischen Klang der metallbesaiteten Cetra und der gestrichenen Lira wird dem grossen Respekt der italienischen Humanisten vor den künstlerischen Errungenschaften der Antike Tribut gezollt.

Jacob Lawrence – Gesang, Lira da braccio | Marc Lewon – Laute, Cetra | Masako Art – Harfe | Elizabeth Rumsey – Viola d’arco, Lira; Leitung

Interview

Masako Art​ – Harfenistin

Thomas Christ (TC): Wie findet eine japanische Pianistin den Weg zum Harfenstudium – wenn ich das so sagen darf – vom sonnigen Kyoto ins regnerische Schottland?

Masako Art (MA): Das ist eine lange und private Geschichte, die ich nicht so gerne ausführe! Es ist besser, wenn ich darüber spreche, warum ich diese hübsche Harfe mit dem seltsamen Klang spiele: Bevor ich nach Basel kam, verbrachte ich 8 Monate im Norden Schottlands, wo ich nicht weit entfernt vom bekannten Harfenisten Bill Taylor lebte. 

Ich begann bei ihm, Unterricht zu nehmen, und er weihte mich in die Kunst des Renaissance-Harfenspiels ein, also die Instrumente so zu spielen, wie sie gedacht waren, nämlich mit Schnarrhaken. Dabei wird am unteren Ende jeder Saite ein Holzhaken so eingerichtet, dass er die Saite gerade noch berührt und einen schnarrenden Klang erzeugt. Dieser spezielle Klang schaffte es sogar in den ReRen-Youtube-Jingle. Ich befasste mich intensiv mit dem Spiel der walisischen Harfenmanuskripte und erlernte die entsprechende Dämpfungstechnik. Und so kam ich überhaupt als erste Schnarrhakenharfenspielerin an die Schola: Einige wussten, dass diese Technik tatsächlich im 15. Jahrhundert (und je nach Region auch weit darüber hinaus) praktiziert wurde – Crawford Young, mein damaliger Professor, war sehr ermutigend, und so auch Heidi Rosenzweig … Die übrigen haben sich mit etlichen wenigen Ausnahmen von dieser Harfentechnik abgewandt oder distanziert oder haben mich gar auf die schwarze Liste gesetzt. Scherz beiseite: Heute, zwei Jahrzehnte später, spielen die meisten SCB-Harfenstudenten mit Schnarrhaken. Paulus Paulinus berichtet dazu im Jahre 1460, dass nur Orgel und Trompete lauter waren als die Harfe, obwohl die Harfen jener Zeit – so wie die E-Gitarre – ohne grossen Resonanzkörper gebaut wurden, also relativ massiv waren, mit einem sehr ineffizienten, schmalen Korpus, aber eben mit diesen seltsamen, mitschwingenden Accessoires, den Schnarrhaken.

TC: Einfache Modelle der Harfe waren ja bereits im Altertum bekannt und beliebt, so auch im asiatischen Raum. Gibt es japanische oder ostasiatische Musikformen, die man mit unserer Harfen- oder Leiermusik vergleichen könnte? Oder tauchten sie mit der europäischen Harfe in eine völlig neue Welt?

MA: Nicht wirklich. Es gab die Kugo, die aus China bekannt waren, aber sie kamen bereits im 9. Jahrhundert aus der Mode, als die Japanisierungsreform der Musik und Kultur in der Heian-Zeit stattfand. Diese östlichen Harfen kamen aus dem Mittleren Osten oder Persien über die Seidenstrasse. Man kann sie bei den Boddhisatvas sehen, die im Byodoin-Tempel in Kyoto verschiedene Instrumente spielen. Die Musik, die sie aufführten – da bin ich wirklich kein Experte – hatte aber mit der europäischen Musik und den europäischen Harmonien wenig gemeinsam. Vielleicht haben jene Harfen in der Form eine gewisse Ähnlichkeit mit unseren Instrumenten und vielleicht sogar mit der Einstimmigkeit unserer frühen mittelalterlichen Musik. Da bin ich zu wenig informiert und müsste selbst nachforschen.

TC: In Europa haben Sie sich vom Mittelalter bis in die Neuzeit durch viele Harfentypen durchgearbeitet und durchgespielt. Wie kam es zu Ihrer Vorliebe für die Literatur der Frühen Musik?

MA: Als ich damals in Japan mit dem Klavierspiel begann, musste ich schlicht viel zu viel deutsche und österreichische Klassik und Romantik spielen, und viel zu wenig aus anderen Epochen, dazu kamen unzählige Etüden von Czerny. Mir wurde das irgendwann zu viel und ich begann, mich für andere Harmonien zu interessieren, so insbesondere jene der Impressionisten und der Alten Musik. So wirkten John Dowlands Lieder und seine Harmonien sehr frisch und unmittelbar und besonders gefiel mir die schlichte Eleganz der Musik aus dem 15. Jahrhundert, deren kompakte, aber perfekte Farbe der Harmonie. So kletterte ich während des Musikstudiums an der Schola in der Musikgeschichte nach und nach zurück, und nun wieder vom Barock in die Klassik, die Romantik und in die Gegenwart! Mittlerweile bin ich mit Haydn, Mozart und Beethoven wieder glücklich. Ich bin aber froh, dass ich mit der Dreistimmigkeit des 15. Jahrhunderts einen kompletten Neustart erlebt habe. So erfahre ich nun die spätere Musik unglaublich viel farbiger und spannender.

TC: Die Alte Musik kennt im Vergleich zu klassischen und nachklassischen Epochen mit der Laute, der Theorbe, dem Salterio, der Mandoline und den verschiedenen Harfentypen eine auffallend reiche Auswahl an Zupfinstrumenten. Warum ist dieser Reichtum verschwunden? Hat die neue Musik an Intimität verloren?

MA: Vielleicht sind die Zupfinstrumente fürs Orchester zu leise. Denn die Orchester und so auch die Bühnenmusik wurden immer grösser, die Instrumente immer schwerer und lauter. Und so verkümmerten die Einsatzmöglichkeiten für die Zupfinstrumente, zumindest in grösseren Besetzungen. Zupfinstrumente werden in der zeitgenössischen Musik aber wieder öfters benutzt, sowohl in der Ensemble-Besetzung wie auch als Soloinstrument. 

TC: Wie erleben sie das vermehrte Interesse des Publikums für die Frühe Musik, insbesondere des Barock? Wird es zu einem ähnlichen Revival der Renaissancekompositionen kommen oder bleiben die weniger bekannten Namen dieser Zeit eher einem Nischenpublikum vorbehalten?

MA: Das ist eine komplizierte Frage! Es gibt mittlerweile ein Interesse für die Frühe Musik, die sich aber eher marktorientiert präsentiert, also eher wenig zu tun hat mit einer historischen Aufführungspraxis, sondern sich an Starsängern orientiert, die vielleicht eine tolle Stimme haben, unabhängig davon, ob die Sänger sich mit historischer Aufführungspraxis beschäftigen oder nicht. Sie singen irgendetwas Barockes und Schönes und das verkauft sich gut; das Interesse des Publikums an der Aufführungspraxis ist meist gering. Trotz dem Interesse an der Alten Musik verkaufen sich aufführungspraxisorientierte Projekte weniger gut, vor allem wenn es um den Gesang geht. Das Publikum möchte gerne «Persönlichkeiten» sehen und eine Show erleben, was auch nachvollziehbar ist. Und die Opernbetriebe bevorzugen Stimmen, die für den modernen Opernbetrieb und deren Räumlichkeiten besser tauglich sind. So bleiben Händel und Monteverdi zwar weiter im Angebot, was einerseits erfreulich ist, aber oft mit historisch informierter Aufführungspraxis wenig zu tun hat. Es ist eben kompliziert!
In der Instrumentalmusik hingegen, wirkt die strenge historische Aufführungspraxis weniger fremd und kommt gut an, die Musiker*innen unterliegen nicht demselben Marktdruck wie die Sänger*innen. Mir scheint, dass es bei der Instrumentalmusik eher zu einer Win-Win-Situation kommt: die Musiker*innen haben Spass an ihrer Recherche, die Schönheit wird hörbar… und dem Publikum gefällt’s!
Da Renaissancemusik eher schlicht im Drama und speziell im Klang ist, haben wir es hier mit einem spezielleren Publikum zu tun. Andererseits erlebe ich das Publikum oft auch als offen und neugierig für Unbekanntes! Ich bin sehr begeistert, dass diese Renaissance-Konzertserie die Gelegenheit für neue Entdeckungen bietet! Ich denke, ob die weniger bekannten Namen einem Nischenpublikum vorbehalten bleiben oder nicht, hängt ein wenig davon ab, wie wir die Musik präsentieren und wie wir die Menschen mit offenem Interesse und Neugier anlocken können. Es ist eine sehr spannende Frage, wie man die historische Aufführungspraxis oder auch ein spezielles Repertoire oder musikgeschichtlich unbekannte Themen, einem Publikum nachvollziehbar und reizvoll präsentieren soll.

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Kolumne

«Ich bin dabei … » von David Fallows zu «Ite, sospiri …», Juli 2021

Wenn das Juni-Konzert, das v. a. Heinrich VIII. gewidmet ist, ein seltenes, vielleicht sogar einzigartiges Ereignis sein wird, könnte man dasselbe wahrscheinlich auch über das Konzert mit Werken des Serafino d’Aquila im Juli sagen. Er gilt vielleicht als Inbegriff des minimalistischen Dichters, denn sein Œuvre besteht hauptsächlich aus Strambotti, Gedichten von nur acht Zeilen Länge. Die erste gedruckte Ausgabe seiner Gedichte, 1501 in Rom herausgegeben von dem ehemaligen Basler Studenten Johannes Besicken, kurz nach dem Tod des Dichters im Alter von nur 34 Jahren, enthielt 206 Gedichte – mit jeder folgenden Ausgabe wurden es jedoch mehr, bis zur Ausgabe von Giunta im Jahr 1516, die ganze 551 enthält.

Es überrascht nicht, dass es viel Uneinigkeit darüber gibt, welche wirklich von ihm sind. Serafino war besonders berühmt dafür, seine Kompositionen zur Laute zu singen, was eher für eine schriftlose Überlieferung spricht. Aber aus sehr zuverlässiger Quelle ist bekannt, dass er bei dem berühmten flämischen Komponisten Guillaume Garnier Komposition gelernt hatte, was auf notierte Musik schliessen lässt, obwohl nichts unter seinem Namen überlebt hat. (Im Übrigen ist auch keine Musik von Guillaume Garnier erhalten: unser Wissen über die Musikgeschichte dieser Jahre weist einige enorme Lücken auf). Worüber sich alle einig sind, ist, dass Serafino einen massiven Einfluss auf die Poesie und den Gesang der nachfolgenden Generationen hatte. Wir sollten uns auch einig darüber sein, dass es höchst interessant wird, zu sehen, wie die Musiker in unserem Konzert diese Probleme lösen werden.

​(Übersetzung: Marc Lewon)

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Programm

Programmbooklet Juli 2021

1. La seraphina – Josquin des Prez (c1450/1455–1521)
Musik: La bernardina (Bologna, Civico Bibliografico Musicale Codex Q18, fol. 82v–83r)

2. Voi che ascoltate (Strambotto) – Marchetto Cara (c1465–1525)
Text: Opere dello elegantissimo poeta Seraphino Aquilano nuouamente con diligentia impresse con molte cose aggiunte. Philippo di Giunta, Firenze 1516, fol. 114r
Musik: Io son locel (Strambotti Ode Frottole Sonetti, Libro quarto. Ottaviano Petrucci, Venedig 1505, fol. 2r)


3. Ite, sospiri (Strambotto) – anonym
Melodie: Paris, Bibliothèque Nationale, cod. Gr. Rés. Vm7 676, fol. 74v–75r


4. Bench’el ciel – Bartolomeo Tromboncino (c1470–1535)
Franciscus Bossinensis, Tenori e contrabassi intabulati col sopran in canto figurato per cantar e sonar col lauto, Libro primo. Petrucci, Venedig 1509, fol. 43r–44r (Bearbeitung Masako Art)

5. Doglia mia acerba (Strambotto) – Alexandro Mantovano (tätig c1510-c1530)
Canzoni Sonetti Strambotti & Frottole Libro tertio. Andrea Antico, Rom 1513, fol. 20v–21r

6. S’on pone un fragil vetro (Strambotto) – Honofrius Patavinus (tätig c1514)
Frottole Libro undecimo, Petrucci, Fossombrone 1514, fol. 2v

7. Ecco la nocte, el ciel (Strambotto) – Hieronymo del Lauro (tätig 1514/1517)
Canzoni. Sonetti. Strambotti et frottole, Libro quarto. Andrea Antico, Rom 1517, fol. 35v–37r


8. Fortuna disperata – Josquin des Prez
Segovia, Ms. s. s. «Segovia Codex», fol. 182v

9. Fui serrato nel dolore (Barzelletta) – Bartolomeo Tromboncino
Text: Seraphino Aquilano, Opere, 1516, fol. 202v
Musik: Ostinato vo’ seguire (Bossinensis, Tenori e contrabassi intabulati, Libro primo, fol. 20v–21v)


10. Consumo la mia vita – Alexandro Mantovano
Antico, Frottole Libro tertio, fol. 27v–28r

11. Tu dormi, io veglio (Strambotto) – anonym
Frottole Libro sexto, Ottaviano Petrucci, Venedig 1506, fol. 9r

12. Io piango ’l mio tormento (Strambotto) – anonym
Melodie: Modena, Biblioteca Estense, cod. alfa.f.9.9, fol. 3v

13. Deh, fusse (Strambotto) – anonym
Firenze, Biblioteca Nationale Centrale, cod. Panciatichi 27, fol. 30v

14. Consumo la mia vita (Strambotto) – Johannes Prioris (c1460–c1514)
St Gallen, Stiftsbibliothek, cod. 463, fol. 48r


15. Vergine bella – Bartolomeo Tromboncino
Frottole intabulate da sonare organi. Libro primo. Andrea Antico, Rom 1517, fol. 7v-10r (Bearbeitung Marc Lewon)

16. Ben puoi tu lucidar, candida Aurora (Capitolo) – Eustachius de Monte Regali (†c1527)
Antico, Frottole Libro quarto, fol. 50v–51r


17. Vanne canzona mia (Sonetto)
Text: Seraphino Aquilano, Opere, 1516, fol. 113v–114r
Musik: Jacob Lawrence


kursiv = instrumental

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