Caroline Ritchie, Johannes Frisch, Maya Webne-Behrman, Marguerite Wassermann, Mischa Dobruschkin
rst zu Beginn des 16. Jahrhunderts erblickte die Familie der Violininstrumente in Italien das Licht der Welt. Doch was für ein Erfolg: In ihrer Form und Bauweise ähneln die im modernen Orchester so wichtigen Streichinstrumente Violine, Viola und Violoncello noch heute stark den Violinen bzw. Geigen der Renaissance.
Die norditalienischen und flämischen Musiker hatten auf ihren Reisen die neuen Violininstrumente an die Höfe von Heinrich VIII und Elisabeth I gebracht. Mit Renaissancegeigen und – bratschen in verschiedenen Grössen stellt sich in diesem Konzert eine «Company of Violins» oder «Violin Band» vor. Welches Repertoire spielten sie und wie entwickelte sich die «Violin Band» in England weiter?
Maya Webne-Behrman – Diskantgeige
Mischa Dobruschkin – Altgeige
Marguerite Wassermann – Altgeige
Johannes Frisch – Tenorgeige
Caroline Ritchie – Bassgeige; Leitung
Eintritt frei – Kollekte
Viola (ursprünglich in Deutsch «Tenorgeige») von Andrea Amati, Cremona c1569 © National Music Museum, Vermillion SD, USA
Johannes Frisch, der bekannte Violin- und Violaspieler für Frühe Musik, antwortet auf Fragen von Dr. iur. Thomas Christ.
Thomas Christ: Lieber Johannes, du bist nun seit über 20 Jahren im Raum Basel ansässig, hast aber deinen Weg vom Allgäu nach Basel via Holland und andere Länder gefunden. Wie kamst du zur Alten Musik? Welches waren deine wesentlichen Motivationserlebnisse?
Johannes Frisch: Ich wundere mich heute manchmal selbst, wie es dazu gekommen ist. Denn die Möglichkeiten überhaupt dort im ländlichen Raum waren nicht gerade rosig, was die musikalische Ausbildung betrifft. Aber: meine Familie war sehr musikbegeistert und wir Kinder waren alle im Jugendchor der Kirchengemeinde. Das hat mich wahrscheinlich am meisten geprägt. Wir alle haben ein Instrument gelernt, auch die vielen Cousins und Cousinen haben alle musiziert. Da war bei Familienfeiern also einiges los … Und es gab einen Hang zur alten Musik.
Die historische Aufführungspraxis hat meinen Eltern offensichtlich zugesagt, es gab viele Schallplatten von Harnoncourt und anderen Pionieren der alten Musik. Seit ich denken kann steht bei meinen Eltern auch ein Cembalo, das mein Vater aus einem Bausatz gebaut hat. Insofern wurde mir die Alte Musik quasi in die Wiege gelegt. Dass ich dies nun auf diese Art machen darf, habe ich aber meinem älteren Bruder Daniel zu verdanken, der mittlerweile Geigenbauer ist und die Tenorviola gebaut hat, die ich in diesem Programm spiele. Er spielte auch Geige und erkannte, dass wir in eine grössere Stadt zu einem anderen Geigenlehrer mussten. So habe ich sozusagen die Kurve gekriegt …
TC: Im Gegensatz zum Cello und der Geige der Klassik fällt auf, dass es in der Barockzeit und noch mehr in der Musikszene vor 1600 unzählige Varianten von Streichinstrumenten gab, von der Fidel bis zur Viola, von der vier- bis zur siebensaitigen Gambe. Vielleicht kannst du uns kurz etwas zur Entstehung der grossen Streicherfamilie erzählen.
JF: Ja, offensichtlich war diese frühe Zeit von einer enormen Experimentierfreude geprägt. Es ähnelt einer dynamischen Evolution, wie im Tier- und Pflanzenreich, wo neue Formen entstehen, angepasst und perfektioniert werden oder eben auch wieder aussterben. Es existieren verschiedene Arten parallel in ihren jeweiligen Ökosystemen oder lösen sich ab, weil sich die Umgebung verändert. Natürlich sprechen wir über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten und es gibt hier viele Überschneidungen.
Gamben und Violinen werden lange Zeit als eher höfische Instrumente einerseits und als Instrumente der professionellen Musiker anderseits gebraucht (vor allem für Tanzmusik). Nach und nach verschwindet dann die Gambe aus dem Gebrauch, weil sich der Musikgeschmack verändert. Vorher gibt es die Fidel und das Rebec in den verschiedensten Varianten, des weiteren die Lira da braccio, ein Instrument, auf dem ein Sänger sich akkordisch begleitete. Die frühen Geigen haben drei Saiten. Manche bilden die Form einer Acht, ohne Ecken, andere haben mehrere Ausbuchtungen. Frühe Abbildungen von Geigen aus Brescia zeigen Geigen mit nur zwei Ecken, die einen schlankeren oberen von einem korpulenteren oberen Teil trennen. Dazu gab es unzählige Arten der Verzierungen, Bemalungen und verschieden geformte Schnecken. Spannend ist hier natürlich u. a. die Frage, ob die Instrumente einen Bassbalken und einen Stimmstock hatten, denn die macht klanglich einen grösseren Unterschied, als der Umriss des Instruments. Erstaunlich früh aber sehen wir schon Geigen in der klassischen Form. Spätestens mit Andrea Amati haben wir Instrumente, die sich bis in unsere Zeit erhalten sollten.
TC: Darf man sagen, dass die Geige in ihrer ersten Form der «Viola da braccio» eine Erfindung der italienischen Renaissance ist?
JF: Absolut. Sie entsteht fast zeitgleich mit der Gambenfamilie um 1500. Vieles bleibt da allerdings im Dunkeln. Entscheidend zur Entstehung dürfte die Entwicklung der Musik hin zur Polyphonie gewesen sein. Um Kompositionen abbilden zu können, wie sie Josquin und seine Zeitgenossen zu schreiben begannen, brauchte man Instrumente mit unterschiedlichen Grössen, eine Instrumentenfamilie, die die verschiedenen Lagen der menschlichen Stimme abbilden konnte. Es gab zwar zuvor schon verschiedenste Formen von Fideln und Rebecs, aber sie wurden nicht als Instrumentenfamilien gebaut mit explizit verschiedenem Ambitus, um als Consort zusammenzuklingen. Eine wichtige Rolle spielte dabei Isabella d’Este, an deren Hof wohl das Gambenconsort entstanden ist – wahrscheinlich inspiriert von der spanischen Vihuela, die sephardische Juden von der iberischen Halbinsel mitbrachten, als sie der dortigen Inquisition entflohen. In diesem Kontext entwickelten sich wohl auch die Geigen vielleicht als Pendant zur höfischen Gambe zum Consort. Geigen begannen auch, die in der Tanzmusik bisher gebräuchlichen Blasinstrumente zu ersetzen.
TC: Seit einigen Jahrzehnten erfreut sich die historische Aufführungspraxis der Barockmusik grosser Beliebtheit und auch die grossen Opernhäuser haben heute Barockopern, oft in kleinerer Besetzung, in ihre Jahresprogramme aufgenommen. Demgegenüber führt der reiche Fundus der europäischen Renaissancemusik weitgehend ein Nischendasein und harrt sowohl im Konzertleben wie auch in den Medien seiner Entdeckung. Hast du dazu eine Erklärung?
JF: Es wird vor allem an der affektgeladenen Rhetorik der Barockmusik liegen, dass der Zugang etwas leichter fällt. Die Musik der Renaissance mit ihrem oft langsamen Duktus bedient wohl nicht unseren Lebensrhythmus in dieser schnelllebigen Zeit. Es ist einfach zu wenig Show …
In der Renaissance wird über kosmische Proportionen nachgedacht, es werden lineare Konturen miteinander in Beziehung gebracht, die Verwandtschaft der Musik zu Wissenschaft und Mathematik wird auf eine fast abstrakte Art deutlich.
Die Barockmusik, in der vor allem die Sprache und der Ausdruck der verschiedensten Affekte und Gemütszustände ins Zentrum gerückt werden, erscheint uns vielleicht lebendiger, plastischer und abwechslungsreicher.
TC: Du hast oft im Ausland und in den unterschiedlichsten Formationen gespielt, warst mit singenden Stars unterwegs und vielleicht auch mit musikalischen Experimenten konfrontiert. Was hältst du vom Brückenschlag in die Moderne, von sogenannten Cross-over Projekten, die alte und neue Hörerlebnisse verbinden oder beliebt zu machen versuchen?
JF: Ich bin da relativ offen. Es kann sehr reizvoll sein, einfach mal etwas anderes zu machen, ob es verschiedene Musikstile sind, die miteinander verbunden werden, oder die Kombination mit stilfremden Instrumenten, Zirkus etc. Solange das eine Randerscheinung ist, ist mir diese Abwechslung willkommen. Allerdings ist es mir aber lieber, wenn es einen deutlichen Kontrast gibt, der die verschiedenen Seiten voneinander absetzt, und nicht ein billiges Aufpeppen der vermeintlich so langweiligen Alten Musik – in etwa so, wie sich ein stilgerecht renoviertes altes Haus durchaus gut mit einem modernen Glasanbau kombinieren lässt. Lieber bleibe ich aber bei meinem eigentlichen Metier – da bin ich dann eher puristisch.
Ich bin dabei!
David Fallows
Im Prinzip meine ich, mich mit den Repertoires der englischen Kammermusik im 16. Jahrhundert gut auszukennen. Aber Caroline Ritchie hat hier ein Programm zusammengestellt, das viele Stücke enthält, die mir tatsächlich unbekannt sind und die ich mir mit grosser Freude anhören werde. Das Gros der Stücke findet sich in einer riesigen Handschrift, an die ich mich nie herangetraut habe: British Library Egerton 3665. Sie wurde offenbar von Francis Tregian angefertigt, während er als Rekusant (wegen Nichtteilnahme an Gottesdiensten der Church of England) im Fleet Prison einsass. Dies wirft zwei Rätsel auf. Erstens scheint er nur drei Jahre im Gefängnis gewesen zu sein, zwischen 1614 und seinem Tod 1617, und zweitens soll er in dieser Zeit nicht nur Egerton 3665, sondern auch das gesamte Fitzwilliam Virginal Book sowie zwei weitere Stimmensätze abgeschrieben haben.
Für die Annahme, dass er für diese Abschriften persönlich verantwortlich ist, spricht ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass er im Fleet Prison (einem Gefängnis für diejenigen, die ihre Geldstrafen nicht bezahlen konnten) eine ganze Reihe von Räumen angemietet hatte, um seine 1100 Bücher, mehrere Sätze von Gamben («Chests of Viols») und viele andere Musikinstrumente unterzubringen. Hier tun sich Abgründe von Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüchen auf, auf die ich nicht sämtlich eingehen kann. Und es gibt, wie zu erwarten, eine enorme Menge an akademischen Diskussionen, denen zu folgen ich nicht die Kraft habe. Aber wahr ist, dass das Fitzwilliam Virginal Book ausschliesslich englische Musik enthält, während Egerton 3665 eine wirklich wunderbare Sammlung kontinentaler Musik ist, die in England verbreitet war. Ich freue mich sehr darauf, einige dieser Musikstücke kennenzulernen. Das wirklich Besondere an diesem Programm ist aber, dass statt der üblichen Gamben ein Consort aus Instrumenten der Violinfamilie zum Einsatz kommen wird. Das wird ein spannendes Hörerlebnis werden.
Übersetzung: Marc Lewon
«A Company of Violins» Programmheft als PDF
Viola (ursprünglich in Deutsch «Tenorgeige») von Andrea Amati, Cremona c1569 © National Music Museum, Vermillion SD, USA
Cello (ursprünglich in Deutsch «Bassgeige») von Andrea Amati, Cremona. Dieses berühmte Exemplar wird «The King» genannt, c1536–60, mit dem Wappen von Karl IX. von Frankreich. © National Music Museum, Vermillion SD, USA
«Ball am Hof von Valois», anonym (c1580–90), Tanzszene mit vierstimmigem Geigenensemble © Musée des Beaux Arts, Rennes
Detail aus «Dorfhochzeit», Jan Brueghel der Ältere (1568–1625). Ein dreistimmiges Geigenensemble spielt bei der Hochzeitsprozession. © Museo del Prado, Madrid
Newes from the Tower-hill: / OR, / A gentle warning to Peg and Kate, / To walke no more abroad so late, Pepys Ballads 1.266-267, London: printed for E. B., 1631 <https://ebba.english.ucsb.edu/ballad/20123/image>
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Historisches Museum Basel
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