m 1527/8 geboren darf sich der spanische Komponist Francisco Guerrero schon im Alter von 17 Jahren «maestro de capilla» nennen. Guerrero zählt zu den herausragenden Musikerpersönlichkeiten Spaniens im 16. Jahrhundert.
In diesem grossbesetzten Konzert ermöglicht eine Kooperation zwischen ReRenaissance und der Schola Cantorum Basiliensis ein einzigartiges Erlebnis: Wie zu Guerreros Zeiten an der Kathedrale von Sevilla kommen Sänger:innen und Instrumentalist:innen – ergänzt durch die Kinderstimmen von «Oy … cantemos!» – in einer gemeinsamen Capella zusammen und läuten den Beginn der Adventszeit ein: Iberische Musiktradition, in neuem Kleid wiederbelebt.
Einführung zum Thema um 17:45 durch Tabea Schwartz
Vokalensemble der Schola Cantorum Basiliensis
Carolina Bermejo, Annelise Ellars, Giulia Faria, Aurore Gontard, Kaho Inoue, Jaia Niborski, Emile Ribokaite, Caroline Sordia, Karin Weston, Irina Olshevskaia, Daniel Folqué Giménez, Arnaud Gluck, Cyril Escoffier, Raphaël Joanne, Martin Kautzsch, Emmanuel Dupouët, Jan Kuhar, Jorge Martínez Escutia, Johannes Staak
Ministriles
Lorenz Bozzetta, Bethany Chidgey, Robert Hernandez, Aranka Kövári, Melissa Sandel, Emily Saville, Caroline Sordia
«Oy… cantemos!»
Alina Erni, Immanuel Erni, Charlotte Firsching, Emilia Firsching, Madeleine Kowalski, Eleanor Kröner, Candelaria Sepúlveda García, Martina Sepúlveda García
Leitung
Carles Cristóbal – Ministriles | Juan Díaz de Corcuera Herrador (siehe auch Talk im Ausklapper Video) – Stimmen, Konzept, Forschung | Ivo Haun – Stimmen | Carlos Federico Sepúlveda (siehe Ausklapper unten Interview) – Stimmen, «Oy … Cantemos!», Konzept | Tabea Schwartz – «Oy … Cantemos!»
Eintritt frei, Kollekte
Einführung in das Konzert Nov. 2022 «Transeamus: nach Bethlehem»
Kooperation mit der Schola Cantorum Basiliensis und den Kinderstimmen «Oy … Cantemos!»
Librone 3, 187v–189r
Aus dem Konzert Reopening Gaffurius’ Libroni – Motetten in Mailand, 30. Januar 2022, Barfüsserkirche Historisches Museum Basel
Aus dem Konzert Nov 2021 «Villancicos zur Vorweihnachtszeit» Ivo Haun, Florencia Menconi, Giovanna Baviera, Elam Rotem – Gesang
Aus der Sequenz Ave virgo gloriosa, Heerenberg, Castle Huis Bergh, MS 34, fol. 135r–138r
Aus dem Konzert Reopening Gaffurius’ Libroni – Motetten in Mailand, 30. Januar 2022, Barfüsserkirche Historisches Museum Basel
Interview mit Juan Díaz de Corcueira. Anlässlich des Konzertes Transeamus: nach Bethlehem, November 2022
Interview mit Professor Carlos Federico Sepúlveda, im Leitungsteam der Schola Cantorum Basiliensis, u.a. Leiter des Studiengangs Renaissance und des Nachdiplomstudiums AVES (Advanced Vocal Ensemble Studies)
Thomas Christ (TC): Lieber Federico, wir freuen uns, dich anlässlich unseres gemeinsamen Novemberkonzertes in der Barfüsserkirche Basel als Interviewpartner zu begrüssen. In der Szene der Frühen Musik, insbesondere in der Basler Barockwelt, bist du seit vielen Jahren eine bekannte Grösse, doch kaum jemand weiss, wie du in Medellín (Kolumbien) zur Musik, zum Dirigieren, zur Chormusik gekommen bist. Gab es da ein Schlüsselerlebnis oder eine familiäre Bestimmung?
Carlos Federico Sepúlveda (CFS): Ich habe das Instituto Musical Diego Echavarría besucht, eine Schule, die von der Grundstufe an (Kindergarten inklusive) die Musik als eine ihrer Säulen betrachtet, sie als Sprache versteht und viel Zeit für die musikalische Entwicklung der Schüler:innen aufwendet. Dort habe ich meine ersten Erfahrungen mit Chören, Orchestern und Bands gemacht. Die musikalische Leiterin, Cecilia Espinosa, führte einen der wichtigsten Chöre der Stadt, in dem ich schon mit 13 Jahren mitsingen durfte.
Diese beiden Erfahrungen, die Schule und der Chor, markierten einen Weg, auf dem mich das Singen, die Renaissance, die Polyphonie, das Verständnis verschiedener musikalischer Sprachen und andere Aspekte zunächst nach Wien (Orchester- und Chorleitung) und später an die Schola Cantorum Basiliensis führten, wo ich das Privileg hatte, mich in Begleitung von Dozierenden, Kolleg:innen und Studierenden, die meine Faszination für diese Epoche teilen, der Renaissance zu nähern.
TC: Wir wissen wenig über die frühe südamerikanische Musik – aber es gab sie, die kolumbianischen Barockkomponisten des 17. Jahrhunderts. Kannst du uns kurz etwas über diese Alte Musik in der Neuen Welt erzählen? War sie volkstümlicher? Hatte die Chormusik einen besonderen Stellenwert?
CFS: Ich bin da kein Spezialist. Ich hatte die Gelegenheit, an einigen Projekten in diesem Bereich teilzunehmen, und habe auch einige davon geleitet. Als ich mein Studium in Wien beendet hatte, begann ich mich für die Musik in der Kathedrale von Bogotá zu interessieren und arbeitete mit Repertoires des Archivs der Kathedrale. Es gibt Schätze zu entdecken, wir sollten unsere Kräfte bündeln und koloniale Repertoires erforschen, nicht nur in Südamerika! Ich denke, dass die Schola, die sich langsam dem hispanischen Repertoire und den dortigen Praktiken der Renaissancemusik nähert, Teil eines solchen Projektes sein könnte, aber es ist wichtig, dass Projekte von lokalen Institutionen geleitet werden.
Die Polyphonie nahm in Südamerika einen sehr wichtigen Platz ein, das stimmt. Die grossen Feste, in der Kirche und außerhalb, sind mit Polyphonie verbunden. Wie wir in unserem Konzertprogramm sehen, gibt es Verbindungen zwischen volkstümlichen Bräuchen und Kirchenmusik. Diese Wechselwirkung gab es auch in Südamerika. Interessant ist die Frage, wie die evangelisierende Funktion der Musik in den Kolonien das Ergebnis beeinflusst haben könnte. In unserem Konzert schlagen wir einen Ansatz vor, der auch als Ausgangspunkt für die Erforschung von Kontexten kolonialer Musik geltend gemacht werden könnte, allerdings unter der Voraussetzung, dass spezifische Kontexte den weiteren Weg vorgeben.
TC: An der Schola gehörst du selbstverständlich zu den Verfechtern der sogenannten historischen Aufführungspraxis – darunter können sich die Zuhörer:innen im Bereich der Instrumentalmusik durchaus ein Bild machen. Welches sind in der Chormusik die wesentlichen Kriterien einer historisch richtigen Aufführungspraxis?
CFS: Die Kriterien sind dieselben: Heute geht die Fragestellung über die Beschäftigung mit Originalinstrumenten, historischen Techniken und Temperamenten, Notationen usw. hinaus und wir wollen all diese Ergebnisse in einen angemessenen historischen Kontext stellen – mit einem Fenster, um diese Kontexte in unserer Gegenwart zu reflektieren und so relevante künstlerische Antworten anzubieten, die durch ernsthafte Forschung unterstützt werden.
TC: Kannst du uns etwas zum aktuellen Projekt der Schola Cantorum Basiliensis «Oy … cantemos!» erzählen? «Musik lernen wie vor 500 Jahren» scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu den pädagogischen Erkenntnissen der Gegenwart zu stehen. Wie müssen wir uns jene historischen Ansätze in der Musikausbildung von Kindern vorstellen?
CFS: «Oy … cantemos!» ist ein Projekt der Musikschule der SCB im Teamteaching-Format. Dabei erhalten Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, mithilfe von Werkzeugen, die dem Repertoire angemessen sind, sich der Renaissancemusik anzunähern. Damit verbunden sind Kompetenzen, die über die reine «Wiedergabe» von Stücken hinausgehen. Improvisation und das «In-Beziehung-setzen» von Tönen ist integraler Bestandteil dieses prozessorientierten Lernens. Der didaktische Aufbau und die Auswahl der Methoden ist historisch inspiriert, aber die Befähigung zur inneren Musikvorstellung, zum freien und gebundenen Ausdruck und das altersübergreifende Mit- und Voneinander-Lernen, das auch die Arbeit mit Studierenden der SCB einschliesst, gilt auch ausserhalb der Grenzen der Renaissance.
«Oy … cantemos!» ist pädagogisch und aufführungspraktisch motiviert. Man vergisst schnell, dass Kinder historisch gesehen integraler Bestandteil der Musikausübung waren. Natürlich können und sollen nicht alle Aspekte des damaligen edukativen Kontexts heute integriert werden; es geht vielmehr darum, sich mittels der Erkenntnisse der humanistischen Konzepte der Essenz des Musiklernens ein wenig näher zu kommen. Weiteres dazu erfahrt Ihr im Programm unseres Konzertes (und vielen Dank, Tabea Schwartz, für deine Hilfe zu dieser Frage!)
TC: Als Kenner der Frühen Musik widmest du dich auch der überaus reichen Welt der Renaissance. Während sich die Vokalmusik des Barocks seit einigen Jahrzehnten in Theater und Medien grosser Beliebtheit erfreut, fristet die Musik vor 1600 noch weitgehend ein Nischendasein. Warum ist das so? Wird sich das in naher Zukunft ändern?
CFS: Meiner Meinung nach ist die Musik vor 1600 schon lange aus ihrer Nische herausgekommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Künstlerinnen und Künstler in dieser Zeit ein interessantes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Kräften in der künstlerischen Arbeit (Forschung, Musikpädagogik, Markt, Spielpraxis … ) haben, das es uns ermöglicht, Vorschläge mit unterschiedlichen Ansätzen und Perspektiven zu machen, Ergebnisse zu suchen und zu präsentieren, die je nach Standpunkt der künstlerischen Vision weiter weg oder näher an historischen Kontexten liegen und ihr Publikum finden, das auf direktere Weise mit den Künstlern interagiert. Insofern können wir also auch direkt den Markt beeinflussen bzw. kreieren!
Ich bin dabei … von David Fallows
Einige Leser wissen vielleicht, dass meine Hauptbeschäftigung in den vergangenen zwei Jahren darin bestand, mein seit langem geplantes Buch Art Songs of the Burgundian Era, 1415–1480, fertigzustellen, das ich etwa 1995 als ein zu ehrgeiziges Unterfangen zunächst aufgegeben hatte, um dann das, was ursprünglich als dessen Anhang geplant war, 1999 als meinen Catalogue of Polyphonic Songs zu veröffentlichen. Eines der Kapitel hier betrifft die Themen, die in den Liedern behandelt – oder eben nicht behandelt – werden. Und eine der grössten Überraschungen ist, dass weihnachtliche Themen dabei nicht vorkommen, ausser in dem besonderen (und sehr eigenen) Fall der englischen Carols.
Dann, um 1490, beginnt die Weihnachtsthematik in der spanischen Lyrik aufzuscheinen, sehr wahrscheinlich durch die Initiative von Juan del Encina (der am Ursprung von so vielem in der Literatur und Musik der iberischen Halbinsel steht).
Aus welchem Grund auch immer finden wir in der spanischen Musik des 16. Jahrhunderts plötzlich eine beträchtliche Menge an Weihnachtsmusik, insbesondere von Guerrero, Morales und Victoria. Im Gegensatz dazu ist Weihnachtsmusik in der Musik Italiens, Frankreichs und Englands relativ dürftig vertreten. Jedenfalls ist das spanische Repertoire erstaunlich reich an weihnachtlicher Musik. Und angemessener könnte man die Feierlichkeiten dieses Familienfests, das den meisten von uns in den letzten zwei Jahren verwehrt geblieben ist, wohl kaum einläuten.
Übersetzung: Marc Lewon
Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.
(Lukas 2: 17-18)
Musik um Francisco Guerrero (1528–1599)
Hauptquelle (1., 3., 4., 6., 7., 9): Canciones y villanescas espirituales (Venedig 1589)
1. ¡O que nueva, o gran bien! – Francisco Guerrero (1528–1599)
2. Quem vidistis pastores? / Dicite quidnam vidistis – Tomás Luis de Victoria (c1550–1611)
Motecta festorum totius anni (Rom 1585)
3. Vamos al portal – Francisco Guerrero
4. Pastores, si nos queréis – Francisco Guerrero
5. Quaeramus cum pastoribus / Ubi pascas, ubi cubes? – Jean Mouton (<1459–1522)
London, Royal College of Music, MS 1070, fols. 18v–21r
6. Zagales, sin seso vengo – Francisco Guerrero (1528–1599)
7. ¿De dónde vienes Pascual? – Francisco Guerrero
8. Pastores dicite, quidnam vidistis? / Infantem vidimus – Pierre Colin (1538–1572)
Liber octo missarum (Lyon 1541)
9. Apuestan zagales dos – Francisco Guerrero
10. Pastores loquebantur ad invicem / Videntes autem – Francisco Guerrero, Mottecta […] liber secundus (Venedig 1589)
11. ¡Oh qué placer! ¡Divino regocijo! – Francisco Guerrero
12. Laudate Dominum de caelis – Francisco Guerrero, Mottecta […] (Venedig 1597)
Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel
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Haus zum Kirschgarten
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Basel, Martinskirche
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