Dapoi nocte

vien la luce
So 28.01.24 Konzert 18:15

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Dapoi nocte vien la luce

N

ach dem überwältigenden Erfolg seines Odhecaton ruhte sich Ottaviano Petrucci nicht auf seinen Lorbeeren aus; was in den nächsten Jahrzehnten folgte, war eine Flut gedruckter Musik, die allen zugänglich war. Sammlungen mit geistlicher und weltlicher, vokaler und instrumentaler, einfacher und komplexer Musik wurden von Musikliebhabern vor 500 Jahren gekauft und erfreuen uns auch noch heute.

Die zehn «libri di frottole», die zwischen 1504 und 1514 gedruckt wurden, spiegeln die Vielfalt an Thematiken in der weltlicher Musik wider, die an den italienischen Höfen, besonders an den Herzöginnenhöfen wie denen von Isabella D´Este, Lucrezia Borgia und Beatrice D´Este, beliebt waren. Durch deren Druck wurden diese Stücke für die Welt außerhalb des Hofes verfügbar.

Zum Jahresbeginn tauchen wir in einen imaginären Winterabend am Hofe ein, wie er beispielsweise in den Räumen Isabellas in Mantua hätte stattfinden können, und lassen uns von der Frische und unmittelbaren Natürlichkeit der Frottole in den humanistischen Diskurs der Höflinge über Gegensätze, Sprachspiele, hohe Dichtkunst und ernste und humorvolle Gedanken über die Höhen und Tiefen des Lebens verführen.

María Cristina Kiehr – Gesang

Josep Cabré – Gesang

Mirko Arnone – Renaissancelauten

Leonardo Bortolotto – Bassgambe

Silvia Tecardi – Diskantgambe, Viola d´arco; Konzept, Leitung

Eintritt frei, Kollekte

Als Gönner oder Gönnerin können Sie uns optimal unterstützen. Als Gönner:in a Cappella erhalten Sie auf Wunsch das Programmheft zugesendet. Als Gönner:in  Consort erhalten Sie zusätzlich einen reservierten Sitzplatz in jedem Konzert.

Video aus der Probe;
Instagram zu Gast im Studiolo der Herzogin

Video zum Programmsujet von Silvia Tecardi;
Instagram erklärt

 

«Konzert», Lorenzo Costa:; c1488-90; Öl auf Holz, 95,3 x 75,6 cm © Britische Nationalgalerie 2486

Interview

ReRenaissance-Interview mit der Gambistin und Fidel-Spielerin Silvia Tecardi im Januar 2024

Dr. Thomas Christ (TC): Meine erste Frage gilt natürlich Deiner Herkunft. Wie findet man den Weg von Rom oder vom Land der Renaissance-Hochkultur nach Basel an die Schola Cantorum? Wo hast Du die Gambe entdeckt?

Silvia Tecardi (ST): Als ich in den 70ern in Rom geboren wurde, herrschte dort eine «Neu-Entdeckungs»-Stimmung: Meine Eltern hatten ein Ensemble für Alte Musik gegründet, mit dem sie jeden Montag, am Ruhetag eines kleinen Theaters in Trastevere, ein neues Programm aufführten. Später hatten sie eine eigene kleine Konzertreihe und luden auch Ensembles von auswärts ein. Ich war ungefähr 8 Jahre alt, als ich eine englische Gambistin hörte und dann zu meinen Eltern sagte, ich wolle Gambe lernen. Sie schauten sich nach einem Lehrer um und Paolo Pandolfo war gerade zurück von seinem Studium in Basel. Ich erinnere mich an die ersten Gambenstunden, natürlich auf Diskantgambe wegen der Körpergrösse, mit einigen Enzyklopädien unter meinen Füssen …

Silvia Tecardi © David Munderloh

 

Durch meine Jugend hindurch zog sich dann für mich die Frage: Empfinde ich so viel Nähe zur Alten Musik «nur», weil ich damit aufgewachsen bin, oder ist es tatsächlich mein Weg? Um das herauszufinden, gab es für mich nur die Möglichkeit, es «in echt» auszuprobieren, also alles zu lernen, was mich auf ein Konzertleben vorbereiten konnte. Und dafür war Basel Ende der 90er erstens der nächstgelegene Ort von Rom aus gesehen und zweitens der einzige, an dem man auch ein umfassendes Angebot an Nebenfächern besuchen konnte, die spezifisch auf das Studium der Alten Musik zugeschnitten waren. Und so entschied sich dann mein Weg – ich ging nicht mehr nach Rom zurück.

TC: Es fällt auf, dass das Notenbild spärlicher und karger wird, je weiter wir uns vom Barock über die Renaissance in die Musikwelt des Mittelalters bewegen. Wie füllt Ihr jene Lücken? Sind sich die Interpreten Früher Musik weitgehend einig, wie jene Leerstellen polyphon bereichert werden sollen oder hat jeder Musiker eurer Zunft sein eigenes Improvisations- oder freies Interpretationsverständnis?

ST: Für die Musik der späteren Epochen gibt es tatsächlich mehr Möglichkeiten, eventuelle Zweifel durch das Nachlesen in Traktaten zu beseitigen als für die früheren. Je mehr Musik man von einer Epoche aber spielt, desto mehr entwickelt sich auch ein Gefühl für die Idiomatik jenes Stils. Für mich persönlich entsteht viel aus dem Instrument heraus, das ich gerade in den Händen habe – es sagt sozusagen selbst, was für eine Linie, Verzierung oder was für ein Akkord (natürlich innerhalb der satztechnischen Regeln des betreffenden Repertoires) besser zu den anderen Stimmen passt oder den Sänger unterstützt oder einfach stileigener ist als beispielsweise eine andere Figur oder ein anderer Akkord. Vieles entwickelt sich auch im Zusammenspiel mit den Kollegen. Gerade weil das Instrument selbst durch die Stimmung, den Klang und die Art der Besaitung so viel vorgeben kann, ist es auch so wichtig, dass wir von Anfang an versuchen, eine bestimmte Epoche auf den passenden historischen Nachbauten zu spielen, damit sich diese «Idiomatik-Intuition» schneller und präziser einstellt. Dieser Aspekt ist dann bei jedem von uns wohl geprägt von den vorangegangenen musikalischen Erfahrungen, parallel zu den erlernten Regeln.

TC: Du arbeitest selbst in mehreren Epochen, wo liegen Deine persönlichen Vorlieben, in den Begleitpartien des farbigen Barocks oder eher im Gamben-Consort der Renaissance?

ST: Meine Vorliebe liegt im Pendeln zwischen den Epochen. Je nachdem, was ich gerade spiele, spiegelt das in dem Moment einen Teil meines Inneren wider, einen «Lieblingsplatz» in mir, den ich dann hervorhole. Natürlich braucht es dazu eine kleine «Wiederfindungsphase», umso mehr, wenn die Spanne gross ist.

Was ich besonders spannend finde, ist die Gleichzeitigkeit des Eintauchens in die Musik einerseits und des Zwiegesprächs mit den Persönlichkeiten der Mitmusiker andererseits. Dieses Phänomen spiegelt sich in den verschiedenen Epochen zwar unterschiedlich wider, ist aber auf gewisse Weise stets vorhanden, weil das Ensemblespiel in der Alten Musik sehr omnipräsent ist. Jede Stimme hat eine wichtige, definierte Rolle und eine spezifische Art, sich mit den anderen Stimmen zu verbinden, sei es als instrumentale Solo-Partie, die Vorschläge und Impulse der Begleitung aufgreifen und weiterführen kann, z. B. als «perfect servant» im Continuo, der unterstützt aber auch Richtungen anbieten und lenkend voraussehen kann, oder als Tenor eines Mittelalter-Stücks, der einerseits den Rahmen geben, aber andererseits an manchen Stellen eine Änderung in der Dynamik einleiten kann, sei es als Contratenor, der eine kommentierende Funktion haben kann und sich damit in das Zwiegespräch einfügt, oder seien es die einzelnen Stimmen eines Vokal- oder Gambenconsorts, die alle diese Funktionen vermischen und verbinden … es ginge unendlich weiter, und schlussendlich ist selbst die rein solistische Gambenmusik oft durch die polyphone Aussetzung auch ein Zwiegespräch mit sich selbst.

Dazu tritt dann im Konzert die Dimension des «Gebens» dieser vielen Aspekte an den Hörer, um ihn teilhaben zu lassen und um den Kreis zu öffnen.

TC: Was steht bei Dir beim Entwerfen eines Musikprogrammes im Vordergrund? Die Stimmen der Gamben, die Neuentdeckung des Musikstückes jener Epoche oder die geografische und geschichtliche Herkunft der Stücke?

ST: Das ist jedes Mal ein etwas unterschiedlicher Weg, je nachdem was die Vorgaben sind: entweder geht es um einen Komponisten, den man porträtiert, oder um eine bestimmte Sammlung, die man vorstellt wie im jetzigen Programm für ReRenaissance, oder um ein spezifisches Thema, oder um ein bekanntes Stück in verschiedenen Vertonungen … Aber für mich entsteht dabei immer eine mehr oder weniger offensichtliche Geschichte, die durch die Musik erzählt wird. Diese ergibt sich entweder aus den Stücken selbst, oder es stehen am Anfang ein paar Stücke, die dann den roten Faden bilden, nach dem man die weiteren auswählt. Meistens stellt man beim Hinzufügen von Stücken fest, dass der rote Faden vielschichtig ist und verschiedene Ebenen enthält. Und richtig spannend wird es, wenn man merkt, dass sich die hinzugefügten Teile wie von selbst in die anderen Ebenen einfügen…

TC: Meine letzte Frage gilt der Entwicklung des Marktes für Alte Musik. In den letzten 40 Jahren hat die Barockmusik einen unübersehbaren Beliebtheitsboom erlebt, beinahe jedes Opernhaus der Welt setzt heute Barockopern auf ihr Programm, die weltliche Barockmusik galt zuvor lange Zeit als Rarität. Stehen wir bei den Renaissance-Entdeckungen am Anfang einer ähnlichen Entwicklung oder bleibt ihr intimer Charakter eher einem Insider-Publikum vorbehalten?

ST: Ich denke, was den «Marktwert» der Opern ausmacht, ist sicher auch das szenische Element, das bestimmt einen zusätzlichen Kanal darstellt, um ein breites Publikum zu erreichen. Wie sehr sich ein bestimmtes Repertoire dafür eignet, ein grosses Publikum in grossen Sälen zu erreichen, hängt meiner Meinung nach davon ab, wie sehr man es von seiner ursprünglichen Zielgruppe entfernen oder entfremden kann. Die meiste Renaissancemusik hat den Charakter der «Musica reservata», war also für einen kleinen, gebildeten Kreis gedacht. Gleichzeitig empfinde ich es aber so, dass immer mehr Menschen heute das Bedürfnis haben, zur Ruhe zu kommen, in sich zu gehen und auf der Suche sind nach intimeren musikalischen Erlebnissen.

Wenn ich die Entwicklung überdenke, die ich beobachten konnte, so kam nach dem Boom verursacht durch den «Neuheits»-Charakter in den 70ern – teilweise auch als Gegenpol zum eher konservativen klassischen Konzertgeschehen (z. B. war das Publikum für Alte Musik in Rom damals geprägt von Studenten) – der Versuch des Angleichens an den klassischen Musikbetrieb. Doch je mehr die Alte Musik Teil der renommierten Konzerthäuser und Festivals wurde, desto mehr wurde sie in den Vergleich der Besucherzahlen einbezogen. Das hatte, zumindest in Italien, zur Folge, dass kleineren Initiativen über kurz oder lang z. B. die Subventionen gestrichen wurden. Nach meiner Einschätzung besteht dieses Risiko heute immer noch und überall.

Aus diesem Grunde halte ich solche Reihen wie ReRenaissance für sehr wichtig, denn sie bieten einen sicheren Ort, wo man Renaissancemusik in ihrem ursprünglichen, intimen Charakter finden kann, wenn man sie sucht – und mir scheint, dass hier doch viele Menschen aus allen Generationen erreicht werden, was eigentlich heute eine Seltenheit ist.

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Kolumne

Ich bin dabei

von David Fallows
Übersetzung: Marc Lewon

Als ich Ende der sechziger Jahre in München wohnte, ging ich oft in die Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, und fast jede Woche bestellte einer der Benutzer zwei dicke, längliche Bände – unverkennbar die beinahe einzigen erhaltenen Exemplare der ersten neun Frottola-Bücher von Petrucci. Heute würde man solche Unikate natürlich niemals aus ihren verschlossenen Schachteln lassen; und ich kann mir kaum vorstellen, wie diese Bände in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gelitten haben mussten. In eines der Bücher wurde sogar eine fehlende Note in Josquins El grillo nachgetragen: Der Verfasser dieser Anmerkung hat sie mit den Initialen «G.C.» versehen (der angesehene italienische Gelehrte Gaetano Cesari, gest. 1934), um sie zu authentifizieren.

 

Diese Bücher sind das einzige Zeugnis für die erstaunliche Aktivität, die Petrucci ab November 1504 an den Tag legte. In den ersten drei Jahren seiner Tätigkeit als Notendrucker, die 1501 begann, hatte er bereits die drei Bände seiner Canti-Reihe, drei weitere Bände mit Motetten und sechs monographische Ausgaben mit Messzyklen von Josquin, Obrecht, Brumel, Ghiselin, La Rue und Agricola veröffentlicht. Nun wandte er sich zum ersten Mal der italienischen Musik zu und veröffentlichte innerhalb von nur vier Monaten drei übervolle Bände mit Frottole. Insgesamt druckte er in den nächsten zehn Jahren elf solcher Bücher: Der zehnte Band scheint vollständig verloren zu sein, aber auch die anderen hätten so leicht verloren gehen können. Von den meisten seiner gedruckten Musikbücher gibt es nur noch eine Handvoll Kopien, viele sogar nur noch in einem einzigen Exemplar. Nur sein einziger grosser theologischer Druck, Paulus de Middelburghs Paulina de recta Paschae (1513), hat in vielen Exemplaren überdauert – weltweit wahrscheinlich in an die fünfzig.

Zugleich hat man manchmal den Eindruck, dass die Frottole-Drucke die am wenigsten geschätzten Werke Petruccis sind, was zum Teil daran liegen mag, dass sie sich auf den ersten Blick alle verblüffend ähneln. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man die ganze Vielfalt der enthaltenen Musik. Das ist wohl auch der Grund, warum es so wenige Konzerte und Aufnahmen dieses Repertoires gibt. Auf jeden Fall wird mich nichts davon abhalten können, dieses Rerenaissance-Konzert mit Frottole von Petrucci zu besuchen.

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