Paper, Ink, and Pen

Die fünf Stimmbücher des Kalligraphen Robert Dow (1581/88)
So 28.02.21

Barfüsserkiche
Historisches Museum Basel

«Paper, Ink, and Pen» - Die fünf Stimmbücher des Kalligraphen Robert Dow (1581/88)

W

illiam Byrd, Thomas Tallis und Robert White – dies sind die Lieblingskomponisten des Herrn Dow, und mit ihnen werden wir eine musikalische Stunde verbringen. Man stelle sich vor: Der berühmte Kalligraph Dow hat zur abendlichen Gesellschaft geladen. Wir schauen den geladenen Gambist*innen und der Sängerin über die Schulter, wie sie zusammen musizieren und aus einer Mischung geistlicher Motetten und weltlicher Madrigale eine musikalische Landschaft erschaffen, die sie mit Instrumental-stücken und Consortliedern genüsslich durchwirken. Die fünf kleinen Stimmbücher mit wunderschön gesetzter Musik auf fünf roten Notenlinien sind nicht nur Spiegelbild des musikalischen Geschmacks der Zeit, sondern entpuppen sich als persönliches Tagebuch des Robert Dow: Ein Vergnügen für Aug’ und Ohr.

Monika Mauch – Sopran | Brigitte Gasser – Altgambe | Randall Cook – Altgambe | Tabea Schwartz – Bassgambe | Caroline Ritchie – Bassgambe | Elizabeth Rumsey – Diskantgambe; Leitung

Facsimile von Dow Partbooks. Zum Konzert Paper, Ink, and Pen Februar 2021 © Randall Cook

Video

Paper, Ink, and Pen – In Nomine – Parsons

Aus «Paper, Ink, and Pen» – Die fünf Stimmbücher des Robert Dow
Februar 2020

Paper, Ink, and Pen – O sacrum convivium – Tallis

O sacrum convivium – Tallis
Aus «Paper, Ink, and Pen», Februar 2021

Interview

Monika Mauch – Sängerin und Renaissancespezialistin

Thomas Christ (TC): Können Sie uns kurz erzählen, was oder welches Erlebnis sie zur Entdeckung der Frühen Musik geführt hat?

Monika Mauch (MM): Irgendwie haben mich Mittelalter, Renaissance- und Barockmusik schon immer fasziniert. Mit 17 durfte ich Monteverdis Marienvesper im Chor mitsingen. Diese Musik hat mich damals wie heute vollauf begeistert. Zu Beginn meines Gesangsstudiums in Trossingen, in Deutschland, wusste ich noch gar nicht, dass man Alte Musik auch studieren kann.

 

Ich bin in meinem zweiten Jahr im Studium von einer Kommilitonin mitgenommen worden zum Unterricht von Richard Wistreich, dem damaligen Gesangsprofessor für Alte Musik in Trossingen, bei dem ich dann kurze Zeit später auch zu studieren begonnen habe. Mich hat fasziniert, wie unmittelbar die Rhetorik des Textes in frühen Rezitativen gemeinsam mit der Continuo-Stimme und der dazugehörigen Harmonik Bilder in mir auslöst, die ich dann auch dem Publikum vermitteln kann. Viele Jahre sang ich auch mittelalterliche Musik, später immer wieder Renaissance-Musik. Über die Jahre war ich hauptsächlich im frühen italienischen und deutschen Barock verhaftet. Je älter ich werde, desto mehr fasziniert mich nun aber auch die Klassik und die frühe Romantik. Es ist einfach wunderbar, die Musik aus früheren Zeiten aufzuführen, sich in die Quellen und Theorien einzuarbeiten, um dann als moderner Mensch eine informierte und doch eigene Interpretation zu schaffen. Eine Aufgabe, die immer spannend bleibt. Als ich 2009 ins deutsche Umland von Basel zog, war ich mir natürlich der breit gefächerten Möglichkeiten von Basel durch die Schola Cantorum und die angesiedelten, exzellenten Musiker bewusst. Es ist wunderbar, nun auch bei der ReRenaissance-Reihe mitmachen zu dürfen.

TC: Nicht nur im instrumentalen, sondern auch im stimmlichen Bereich bestehen zwischen den Kompositionen der Klassik und des Barock grosse Unterschiede, so sind auch entsprechende Berührungsängste durchaus verständlich – wie sehen Sie dies in der Musik der Renaissance? Ist jede Barockinterpretin auch eine Renaissance-Sängerin?

MM: Das ist eine sehr gute Frage! Ich finde, dass dem modernen Alte-Musik-Sänger sehr viel abverlangt wird, wenn er stilistisch in Gregorianik, Ars Subtilior, Consort, Lautenlied, Oper, Motette, Kantate und Lied gleichermassen verhaftet sein soll. Meiner Ansicht nach ist dies unmöglich. Es ist nicht nur eine Frage der Informiertheit und des Wissens, sondern eine der Körperspannung und Muskelkraft. Wer als Sänger oder Sängerin gut Musik der Renaissance interpretiert, also sich mit den Instrumenten optimal mischt und der Gesamtinterpretation quasi nur den Text beifügt, der kann nicht unbedingt im Barock als Solist hervorstechen und eigene Kadenzen und Verzierungen entwickeln, die nicht nur die Bedeutung des Textes, sondern auch die Möglichkeiten der individuellen Stimme in den Vordergrund stellen. Es gibt aber durchaus auch Sänger*innen, die beide verwandten Stile gut beherrschen. Der Begriff des «Barock» (= verrückt) in der Musik wurde schliesslich erst im 19. Jahrhundert geschaffen. Vorher schien uns die Unterscheidung wohl noch nicht nötig.

TC: Das gesangliche Ornament, also jene Verzierungskunst über die Grundmelodie, gehört in der Barock- wie in der Renaissancemusik zum kleinen Einmaleins der Gesangskunst – ich habe gehört, dass sie in dieser Disziplin viele Bewunderer haben. Können Sie uns kurz erklären, wie frei oder unfrei man in dieser nicht notierten Improvisationskunst ist?

MM: Die Verzierungen jedweder Epoche und jedes Landes sind einzigartig und meist klar definiert. Das heisst, es liegt dem ein mehr oder weniger gut bekanntes Regelwerk zugrunde. Je mehr man sich also in einer einzigen Stilrichtung bewegt und täglich darin übt, desto freier kann man darin agieren und sozusagen «frei» improvisieren. Ich benötige jeweils immer wieder einige Zeit, auch wenn mir der besondere Stil schon bekannt ist, um mich darin wieder zu Hause zu fühlen. An die Fähigkeiten der Sänger oder der Sängerinnen in der Renaissance, die fast ausschliesslich im Stil ihrer Zeit bleiben durften, kann unsereins meiner Ansicht nach noch immer nicht heranreichen. Selbst wenn die Forschung und das Studienangebot in Basel in dieser Richtung sehr grosse Fortschritte gebracht haben.

TC: Die Barockmusik erfreut sich seit einigen Jahrzehnten grosser Beliebtheit und wir stellen in unserer jungen Renaissance-Reihe fest, dass auch die relativ unbekannte Musik zwischen 1400 und 1600 ein grosses neugieriges Publikum findet. Haben Sie dafür eine Erklärung?

MM: Wie eben schon erwähnt, steht die Musik der Renaissance auf einem festen Regelwerk, das sich aus den bereits äusserst anspruchsvollen und komplizierten Ideen des Mittelalters entwickelt hat. Ebenso, wie wir den Stil der Renaissance in Literatur, Bildender Kunst und Architektur erfassen können, wird auch in jedem Musikstück eine Architektur, ein Spiel mit Dissonanzen und Konsonanzen, eine Textur mit vielfachen Deutungsschichten geschaffen, die uns auf solch mannigfaltiger Ebene berühren können, dass auch der moderne Zuhörer sich dem nicht verschliessen kann. In unserem Dow-Programm zum Beispiel wird im Gambenconsort durch den Kontrapunkt ein Obertonspektrum geschaffen, das mich und sicher auch viele andere zu Tränen rührt. Hinzu kommen die wunderbaren alten englischen, französischen und lateinischen Texte, die ich eben schon für’s Programmheft übersetzt habe. Im Moment lasse ich mich in alter englischer Aussprache coachen, um eine möglichst fundierte Interpretation zu liefern. Ich glaube und hoffe, dass ein Publikum eine solche fachmännische Vorbereitung, die durch jahrelanges spezifisches Studium fundiert ist, immer spüren und in irgendeiner Form erfassen kann. Wer sich darauf einlässt, darf sich nicht schämen, wenn er zutiefst berührt sein sollte.

TC: Natürlich wird das Erleben eines ein Livekonzerts niemals durch ein digitales Livestreaming ersetzt werden, dennoch zwingen uns die Corona-Umstände, nach neuen Formen der Kulturvermittlung zu suchen. Sehen Sie im digitalen Angebot eher eine Gefahr oder eine Chance für das künstlerische und materielle Fortkommen der Musikszene?

MM: Wieder eine gute und schwierige Frage. Im Moment ist das Livestreaming oft die einzige Möglichkeit, ein Konzert überhaupt stattfinden lassen zu können. Dies ist für uns Musiker lebensnotwendig. Ohne Konzert ist ein*e Musiker*in nutzlos. Ich darf also gar nicht die Frage stellen, ob ich einen Livestream gut finde oder nicht. Er ist einfach nötig. Die Gefahren für die Musikszene liegen, so wie auch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Homeschooling oder Homeoffice, darin, dass manche*r eventuell nach dem Ende der Corona-Pandemie nicht mehr zurück will zur traditionellen Form. Das fände ich im Musikbereich einen echten Verlust. So schön ein Konzerterlebnis im Livestream auch sein mag, es kann meiner Ansicht nach nicht die körperliche, auditive und seelische Manipulation in einem Livekonzert seitens der Musiker*innen aber auch seitens des Publikums ersetzen.

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Kolumne

«Ich bin dabei … » von David Fallows zu «Paper, Ink, and Pen», Feb 2021

Wann immer dieser Tage fünf Gamben zusammenkommen, wird eine von ihnen unweigerlich die Dow-Stimmbücher hervorziehen. Dafür gibt es viele gute Gründe. Einer davon ist das vor erst 10 Jahren veröffentlichte, herrliche Farbfaksimile. Ein weiterer ist, dass die Handschrift so wunderbar klar lesbar ist: Robert Dow, von Beruf Jurist und zugleich Mitglied des All Souls College in Oxford, war tatsächlich als Lehrer für Schönschrift angestellt. Jede einzelne Seite seiner Stimmbücher ist eine Augenweide: schwarze Tinte auf vorgedruckten, roten Notenlinien. Und letztere sind ein seltsames Phänomen: mittlerweile wird mit grossem Fleiss an der Erforschung und Erfassung gedruckten Notenpapiers aus dem 16. Jahrhundert gearbeitet – und davon gibt es viel; die Dow-Stimmbücher scheinen der einzig bekannte Fall mit roten Notenlinien zu sein. Vielleicht hatte Dow das Papier eigens für sich in Auftrag gegeben.

Der Hauptgrund für die heutige Beliebtheit der Stimmbücher aber ist, dass sie eine absolut fantastische Zusammenstellung von Musik aus dem England der 1580er Jahre enthalten: viel von Robert White, einiges von Tallis, Parsons, Tye und Strodgers; seltsamerweise nur ein einziges Stück von Taverner, der aber war immerhin schon 1545 verstorben; ferner ein paar Werke von jenseits des Kanals, einschliesslich dreier Stücke von Lassus und zweier von Vincenzo Ruffo; vor allen anderen aber sticht Byrd mit über 50 Stücken hervor, die aus den ersten 20 Jahren seiner Kompositionskarriere stammen – eine kleine Erinnerung daran, dass er, selbst wenn er nicht erst mit 80 sondern bereits im Alter von 40 Jahren gestorben wäre, immer noch als einer der glanzvollsten und einfallsreichsten Komponisten aller Zeiten gelten würde.
Lateinische Motetten beherrschen einen Grossteil der Stimmbücher: es sind nur wenige kirchenmusikalische Kompositionen auf Englisch enthalten, einige Consort Songs und 13 rein instrumentale Stücke. In den frühen Jahren der Regierungszeit von Queen Elizabeth brachten die Komponisten zahlreiche lateinische Motetten hervor, dieweil die Musik, die für die anglikanische Kirche geschrieben wurde, zu dieser Zeit grösstenteils eher schlicht war. Der entscheidende Punkt hier ist jedoch, dass Dows Stückauswahl ausschliesslich aus der obersten Schublade erstklassiger Werke stammt.

(Übersetzung: Marc Lewon)

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Programm

Programmbooklet Februar 2021

Miserere* – William Byrd (c.1539/40 or 1543-1623)
«Cantores inter, quod in aethere sol, bone Birde:
Cur arctant laudes disticha nostra tuas?»
(Good Byrd, [who are] among singers as the sun [is] in the aether,
Why do our couplets confine your praises?)
Why do I use my paper, ink and pen – William Byrd


«Dies lunae
Ut lucem solis sequitur lux proxima lunae
Sic tu post Birdum Munde secunde venis.»
(Monday
As the moon’s light follows next after the sun’s light,
So you, Mundy, come second after Byrd.)

Sive vigilem – William Mundy (c. 1529–1591)


«Musica capitur omne quod vivit si naturam sequitur.»
(Everything that lives is captivated by music if it follows nature.)

Though Amaryllis dance in green – William Byrd
Browning*- William Byrd


Maxima musarum nostrarum gloria White,
Tu peris, aeternum sed tua musa manet.
(Greatest glory of our muses, White,
You perish, but your muse remains for ever.)

O lord of whom / In nomine – Anon.
In nomine* – Robert White (c1538 – 1574)


«Qui tantus primo Parsone in flore fuisti,
Quantus in autumno ni morerere fores?»
(Parsons, who were so great in your first flowering,
How great should you have been in your autumn, had you not died!)

In nomine* – Robert Parsons (c1535 – 1571/72)


«Musica mentis medicina moestae.»
(Music is the medicine of the sad mind.)

Ah, alas, you salt sea gods – Richard Farrant (c1525 – 1580)


«Talis es et tantus Tallisi musicus, ut si
fata senem auferrent musica muta foret.»
(Such and so great a musician are you, Tallis, that if
the Fates took you off in your old age, music would be mute.)

O lord, how vain – William Byrd
O sacrum convivium* – Thomas Tallis (1505 – 1585)


«Non est harmonice compositus qui Musica non delectatur.»
(He is not harmoniously compounded who does not delight in music)

My mind to me a kingdom is – William Byrd



«Galli cantant Itali caprizant Germani ululant Angli iubilant»
(The French sing, the Italians bleat, the Germans howl, the English
whoop.)

La Deploration de Jehan Okenheim – Josquin de Prez (c1450/1455 – 1521)

 

* instrumental

Galerie

2024

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Ad Narragoniam

Musik aus dem Narrenschiff
So 28.04.24 17:45 Intro 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Mai

Jouissance vous donneray

Ein Gemälde erwacht
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Die Bassanos

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So 29.09.24 18:15 Konzert

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Oktober

Magnum opus musicum 1604

Nachruf auf Orlando di Lasso
So 27.10.24 18:15 Konzert

Martinskirche
Basel

November

Du Fay 550

Musik fürs ganze Leben
So 24.11.24 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Dezember

Nun singet

... und seid froh!
So 29.12.24 17:45 Mitsing-Workshop 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel