um Wonnemonat Mai gibt es bereits in der Renaissance unzählige Lieder. Liebesgedichte und lebensfreudige Texte mit einem jahreszeitlichen Bezug wie das berühmte Im Mayen hört man die Hahnen krayen werden auch bei Orlando di Lasso vertont. Im Programm werden diese Stücke durch ein gemischtes Vokalquartett aufgeführt, das sich auf Instrumenten selbst begleitet und bisweilen kunstvolle Vokalverzierungen in die gesungenen Linien einfügt. Der besondere Klang des Lautenduos, das bereits im Septemberkonzert 2020 zu hören war, erfährt ein Comeback mit jüngerem Repertoire aus den späteren Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. Aber es sind auch interessierte Chorsänger*innen eingeladen, Musik gemeinsam mit dem Vokalquartett vorzubereiten und so im Konzert aktiv dabei zu sein. Sie können Lassos berühmte Ensemblemusik anhand der originalen Notation aus einer neuen Perspektive kennenlernen.
Ivo Haun – Gesang, Laute; Leitung | Jessica Jans – Gesang | Giovanna Baviera – Gesang, Gambe | Rui Stähelin – Gesang, Laute | Elizabeth Rumsey – Produktion
Aus «Im Mayen» – Lasso zum Mitsingen 29.05.2022
Barfüsserkirche, Historisches Museum Basel
Konzertclip mit Projektchor aus dem Konzert «Im Mayen», Mai 2022
Susana D’orlando – Diminutionen von Francesco Rognoni (c1570–c1626)
Aus «Im Mayen» – Lasso zum Mitsingen Mai 2022
Jessica Jans – Sopranistin und StimmbildnerinThomas Christ (TC): Liebe Jessica, natürlich freut es mich, in unserer Interviewreihe, meines Wissens erst zum zweiten Mal, eine bekannte Baslerin zu befragen – welche Sprache spricht man in der Musikszene in Basel? Fühlt man sich da als Ausländerin oder als Teil einer Weltmusik-Familie?Jessica Jans (JJ): Die Freude liegt ganz bei mir, lieber Thomas!Auf jeden Fall fühle ich mich als Teil einer Weltmusik-Familie. Die Sprachenvielfalt ist gross – und genau das schätze ich sehr. Meist sind alle bemüht, eine gemeinsame Ebene zu finden, und so mischen sich viele Farben der verschiedenen Sprachen und Herkunftsländer. Die Musik vereint schliesslich alle Beteiligten ganz ohne Worte. Tatsächlich kommt es aber öfter vor, dass ich in Ensembles und Projekten als Baslerin die Exotin bin.
TC: Gehe ich recht in der Annahme, dass euch, deinen Schwestern und dir, die Musik in die Wiege gelegt worden ist? Wann war für dich klar, dass dein Leben ohne Gesang kaum vorstellbar wäre?JJ: Meine Eltern haben uns auf ganz natürliche Weise sehr viel Musik vermittelt, ohne uns je dazu zu zwingen. Das scheint viel bewirkt zu haben, denn meine Schwestern und ich haben uns zu einem beruflichen Weg mit Musik entschieden. Allerdings haben wir uns erst noch in Alternativen «ausprobiert». Vielleicht war das für uns wichtig, um die Entscheidung für die Musik frei und aus eigenen Stücken zu treffen. Für mich war und ist klar, dass mein Leben immer viel Gesang enthalten wird, aber die Form kann sich stetig verändern. Dass ich das Singen zu meinem Beruf machen möchte, wurde mir ein Jahr nach der Matura richtig bewusst und ich bereue die Entscheidung keine Sekunde.TC: Du hast dir insbesondere bei deinen Auftritten mit namhaften Barockensembles einen Namen gemacht. Wie würdest du als Sängerin die wesentlichen Unterschiede der barocken Vokalmusik von jener der Renaissance umschreiben?JJ: Für mich ist die Vokalmusik des Barock oftmals extrovertierter, prachtvoller und aber auch strenger als die der Renaissance. Es gibt aus der Renaissance viele weltliche Lieder der Renaissance, die frech, witzig und offensichtlich für ein kenntnisreiches und gebildetes Publikum gedacht sind. Aber ebenso gibt es vokale Barockmusik, die sehr intim und frei sein kann. Der starke Bezug zur Rhetorik und die Verbindung zur Sprache als Grundlage für die Musik sind wesentliche Merkmale in beiden Sparten, jedoch empfinde ich sie in der Vokalmusik der Renaissance meist noch näher zusammen.TC: Vornehmlich junge Interpreten der Frühen Musik zeigen ein grosses Interesse für sogenannte Crossover-Projekte, also Kooperationen oder Improvisationen mit Jazzmusikern oder Experimente mit Formationen aus der Folklore. Was hältst du davon?JJ: Kooperationen dieser Art finde ich sehr spannend und sinnvoll. Ich glaube, es ist sehr wertvoll, offen zu sein und nicht dogmatisch einer Richtung zu folgen, sondern gegenseitig von einander zu profitieren und sich immer wieder neu inspirieren zu lassen.TC: Gerne stelle ich zum Schluss noch meine Gretchenfrage zur Entwicklung der Alten Musik. Die Barockmusik hat seit mindestens 30 Jahren ihre Insider-Nische verlassen und erfreut sich sowohl am Radio wie auch in der Oper einer grossen Präsenz. Hat der grosse Schatz der Renaissancemusik eine ähnliche Chance oder sind ihr durch ihre intime Note Grenzen gesetzt?JJ: Sicherlich sind der Effekt und Affekt der Renaissancemusik anders als in der Barockmusik. So werden sie wohl nie die gleiche Präsenz auf denselben Bühnen erreichen. Aber das ist ja auch nicht notwendig. Die ReRen-Konzerte zeigen sehr schön, dass die Musik der Renaissance durchaus schon aus der Tür ihrer Nische blicken kann. Der grosse Erfolg der neuen Reihe in Basel gibt Anlass zur Hoffnung auf eine «Wieder-Wiedergeburt» dieser grossartigen Musik im normalen Konzertbetrieb.
Vielleicht liegt es daran, dass ich Lieder schon immer faszinierender fand als Kirchenmusik (da ich nicht gläubig bin), aber mir scheint, dass Lassus der klassische Fall eines Komponisten ist, dessen weltliches Schaffen ihn als ausserordentliches Genie mit einer unvergleichlichen Erfindungsgabe auszeichnet. Er schrieb italienische Lieder, die italienischer sind als die der Italiener: man denke nur an die Villanelle. Er schrieb französische Lieder, die mir besser und idiomatischer zu sein scheinen als die aller seiner französischen Zeitgenossen oder sogar als alle französischen Komponisten des Jahrhunderts, abgesehen vielleicht von Janequin. Er schrieb deutsche Lieder, die an Ideenreichtum nur von Senfl übertroffen werden; und auch hier ist es nicht nur die Sprache, sondern das gesamte musikalische Material des deutschen Liedrepertoires, das bei ihm einfach spannender und vielfältiger ist als bei seinen Zeitgenossen.
Man stelle sich nur vor, wie die Musikgeschichte aussehen würde, wenn er einige Lieder in englischer Sprache geschrieben hätte. Es ist ein bisschen wie bei Mozart, der bereits mit zwölf Jahren Opern zu Librettos in Deutsch, Italienisch und Latein geschrieben hatte. Aber es geht nicht nur darum, dass Lassus all diese Dinge auf wunderbare Weise getan hat, dass er das Spektrum der Ideen in all diesen Sprachen erweitert, sondern auch darum, dass er so viele Lieder in all diesen Genres komponiert hat. In der knappen Stunde, die uns zur Verfügung steht, können wir nicht mehr tun, als an der Oberfläche dieses Repertoires zu kratzen; aber wir können sicher sein, dass wir eine Stunde mit fantastischer und einfallsreicher Musik erleben werden, die bis an den Rand gefüllt ist. Wenn Sie die Zeit haben, bei einigen Stücken mitzusingen, ist das natürlich mehr als doppelt so viel wert. Ich bin dabei.
(Übersetzung: Marc Lewon)
Programmbooklet Mai 20221. Im Mayen hört man die Hanen kreenAus: «Newe Teutsche Liedlein mit fünff stimmen», München: Adam Berg, 1569, fol. 11rChor, Vokalquartett, Gambe2. Wol kumpt der MayAus: «Neue teutsche Lieder, geistlich und weltlich mit 4 stimmen», München: Adam Berg 1583, Nr. 12Laute3. Soyons joieux sur la plaisant’ verdureAus: «Les Meslanges d’Orlande de Lassus», Paris: Adrian le Roy & Robert Ballard, 1576, fol. 8vZwei Stimmen, Laute, Gambe4. Las! voulez vous qu’une personne chanteAus: «Newe Teutsche Liedlein mit fünff stimmen», fol. 3r–4vZwei Stimmen, Laute, Gambe5. Vrai Dieu, disoit une filletteAus: «Mellange d’Orlande de Lassus», Paris: Adrian le Roy & Robert Ballard, 1570, fol. 14rZwei Stimmen, Laute, Gambe6. Susana D’orlando – Diminutionen von Francesco Rognoni (c1570–c1626): Modo Facile di Passeggiar per la Viola Bastarda ò Altro Instromento, aus: «Selva di varii pasaggi parte seconda», Mailand: Filippo Lomazzo, 1620, S. 63–65 und «Les Meslanges d’Orlande de Lassus», fol. 39vGambe, zwei Lauten7. Susanne un jour – Cantus-Diminutionen von Giovanni Bassano(c1561–1617) Aus: «Motetti, madrigali et canzone francese di diversi eccellenti autori», Venedig: Giacomo Vincenti, 1591Sopran, zwei Lauten, Gambe8. Ein meydlein zu dem brunnen gingEin meydlein – Das Meydlein tregt Pantoffel anAus: «Teutsche Lieder mit fünff stimmen», München: Adam Berg, 1573, Nr. 11Stimme, Laute9. Ich waiß mir ein meidlein hübsch und feinAus: «Neue teutsche Lieder, geistlich und weltlich mit 4 stimmen», Nr. 8Stimme, Laute10. Ola, o che bon ecchoAus: «Libro de villanelle, moresche et altre canzoni», Anvers: Pietro Phalesio & Giovanni Bellero, 1582, fol. 23v–24rChor und Vokalquartett11. Sto core mioAus: «Le quatoirsiesme livre a 4 parties», Anvers: Tilman Susato,1555, fol. 12rStimme, Gambe12. O occhi manza miaAus: «Libro de villanelle, moresche et altre canzoni», fol. 11rZwei Lauten13. Io ti voria contarAus: «Libro de villanelle, moresche et altre canzoni», fol. 6vVier Stimmen14. Lucia, celuAus: «Libro de villanelle, moresche et altre canzoni», fol. 9v–10vZwei Lauten15. Tutto lo diAus: «Libro de villanelle, moresche et altre canzoni», fol. 3vVier Stimmen16. Auß gutem GrundtAus: «Sex Cantiones latinae quatuor, adiuncto Dialogo octo vocum. Sechs Teutsche Lieder mit vier, sampt einen Dialogo mit 8. stimmen. Six Chansons françoises nouvelles a quatre voix, avec un Dialogue a huict. Sei Madrigali nuovi a quatro, con un Dialogo a otto voci.», München: Adam Berg, 1573, Nr. 9Laute17. La nuict froide et sombreAus: «Les Meslanges d’Orlande de Lassus», fol. 11v, Diminutionen von Ivo Haun nach Giovanni Battista Bovicelli, 1594Stimme, Laute18. Toutes les nuitzAus: «Les Meslanges d’Orlande de Lassus», fol. 54vZwei Stimmen, Laute19. Matona mia caraAus: «Libro de villanelle, moresche et altre canzoni», fol. 8v–9rChor und Vokalquartett
Martinskirche
Basel
Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel
Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel
Basel, Martinskirche