Jörg-Andreas Bötticher, Maria Morozova, Jessica Jans © Josué Melendez
as ReRenaissance-Konzert im August 2021 präsentierte Musik für Cembalo oder Orgel aus der Sammlung von Bonifacius Amerbach; Dialog der Tasten II stellt eine ähnlich zentrale Sammlung aus der nächsten Generation vor: das erste grössere gedruckte Buch mit Orgelmusik in Deutschland, gesammelt von dem Organisten Elias Nikolaus Ammerbach und veröffentlicht im Jahr 1583. Das Buch weist viele Parallelen zu Bonifacius Amerbachs Sammlung auf, mit Bearbeitungen eines bunten Spektrums von Gattungen, geistlichen und weltlichen, französischen, deutschen und italienischen, instrumentalen und vokalen.
Dieses Konzert bietet die einmalige Gelegenheit, mit einem anderen Haus des Historischen Museums Basel zusammenzuarbeiten; Jörg-Andreas Bötticher wird die Tischorgel «Ab Yberg» spielen, die im Basler Instrumentenmuseum untergebracht ist. Erbaut in Augsburg in den Jahren 1566/78, stammt das Instrument aus der Familienkapelle St. Sebastian «Im Grund» der Familie Ab Yberg in Schwyz. Die Orgel wird sich mit einem Spinett aus der Mitte des 16. Jahrhunderts abwechseln oder zusammentun. Die Sopranistin Jessica Jans komplementiert das Ensemble.
Jörg-Andreas Bötticher – Orgel | Maria Morozova-Meléndez – Spinett | Jessica Jans – Gesang
Jörg-Andreas Bötticher an der Ab Yberg-Orgel © Andrew Burn
Thomas Christ: Lieber Jörg-Andreas, es freut und ehrt uns zugleich, dich im Rahmen unserer Renaissance-Konzertreihe zu einem Interview begrüssen zu dürfen. – Wer deine Kurzbiographie kennt, erfährt von den ersten Orgelstunden bei deiner Grossmutter, von deiner Mitgliedschaft bei der Basler Knabenkantorei – ein direkter musikalischer Lebensweg von der Wiege bis zu den Weihen der Schola Cantorum unserer Stadt. So einfach war das vielleicht doch nicht … Gab es da noch andere Impulse oder Erlebnisse, die hier zu nennen wären?
Jörg-Andreas Bötticher: Ich bin sehr dankbar für diese frühen musikalischen Prägungen; zu musizieren und Musik aktiv zu hören war bei uns einfach selbstverständlich. Meine Grossmutter (*1902) war eine der ersten, die sich in den 60er Jahren schon mit freier Improvisation beschäftigt hat. Zudem habe ich selbst aber auch mit verschiedenen Stilen experimentiert, u.a. war ich in meiner Jugend längere Zeit aktiv als Keyboarder und Schlagzeuger in einer Band und seither fasziniert mich z. B. der Jazz ungemein.
TC: Als Professor für Cembalo und Generalbass bist du natürlich berufen, uns ein paar erhellende Worte über die Entstehung dieser Basslinie zu sagen. War sie eine Erfindung des Frühbarock oder gibt es ähnliche Kompositionsmuster schon in der Renaissance, also vor 1600?
JAB: Du meinst den Generalbass als unterste Linie einer barocken Komposition? – Das ist eine spannende Frage. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte sich immer mehr ein Bassbewusstsein, d.h. das Schwebende und die Gleichberechtigung der einzelnen Stimmen veränderte sich zugunsten einer mehr bass- und akkordorientierten Hör- und Schreibweise. Die ersten durchgehenden Basslinien um 1600 folgen zunächst einfach den jeweils untersten Stimmen einer Komposition als sogenannter basso seguente, daraus wurde dann der basso continuo. Nach und nach begannen die Komponisten solche Linien bewusst zu konzipieren und als Begleitungsgrundlage zu nutzen.
TC: Bei deinen zahlreichen CD-Aufnahmen fällt auf, dass du dich gerne und häufig mit unbekannten Komponisten der Alten Musik befasst hast. Das war sicher nicht nur Neugierde, sondern auch wiederentdeckte Qualität alter Werke. Für den Laien stellt sich die Frage: Wie unterscheidet der Kenner die zu Recht verlorene von der zu Unrecht vergessenen Musik? Gibt es dafür objektive Kriterien?
JAB: Zunächst führt mich durchaus eine kindliche Neugier und ein unvoreingenommenes Forschungsinteresse zu den Quellen und in die Bibliotheken. Beim Studium der Manuskripte oder Drucke zeigt sich dann relativ schnell, welche Stücke sofort ansprechen und welche vielleicht fremd wirken. Oft liegt in dem Fremden aber auch das Spannende, das erst mit einem sorgfältigen Zugang zum Verständnis und zur Interpretation seine implizite Wirkung entwickeln kann. Objektive Kriterien gibt es schon (z. B. Analyse der Form und Komposition, Aspekte der Rhetorik, Originalität), aber ohne die subjektive Begeisterungs- und Vermittlungsfähigkeit würden viele der Stücke heute immer noch in den Archiven schlummern.
TC: Elias N. Ammerbach, der deutsche Organist des April-Programms, gilt als der erste Herausgeber einer gedruckten Sammlung von Orgelmusik. Sein etwas älterer «Fast-Namensvetter» aus Basel, Bonifacius Amerbach, gab ebenfalls ein Orgeltabulaturbuch heraus, den «Codex Amerbach»: Wer war nun der erste? Wussten sie voneinander?
JAB: Rein chronologisch war der Basler Bonifacius Amerbach (1495–1562) der erste. Seine Sammlung entstand als Manuskript im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. Eine Generation später liess der Thomasorganist Elias Nikolaus (1530–1597) sein Tabulaturbuch (1571) aufwändig in neuer deutscher Orgeltabulatur in Leipzig drucken. Von der Rezeption der Musik her war er über lange Zeit wohl der Bekanntere, auch J. S. Bach besass gleich zwei Exemplare dieses Drucks. Ich weiss nicht, ob sie sich kannten. Der Druck ist ja erst nach Bonifacius’ Tod erschienen, und vorher war der Leipziger Ammerbach nicht gross in Erscheinung getreten. Denkbar ist aber, dass umgekehrt Elias Nikolaus schon von Bonifacius als Jurist, Komponist und Humanist gehört hatte. Dessen Handschriften liegen allerdings fast ausschliesslich in der Basler UB.
TC: In den letzten 40 Jahren hat die Erforschung, aber auch die Aufführungspraxis und -häufigkeit von Barockmusik einen enormen Aufschwung erlebt – Beliebtheitsgrad, der auch manche Barockoper auf die grossen Bühnen der Welt gebracht hat. Blüht den reichen Schätzen der Renaissancemusik ein ähnliches Szenario oder bleibt die intimere Musik vor 1600 einem Nischenpublikum vorbehalten?
JAB: Ich würde da etwas differenzieren. In fast jeder Musik gibt es intimere und extrovertiertere Stücke und Stile. Aber die Renaissancemusik erfordert sicher einen etwas spezielleren Zugang, sowohl für die Ausführenden bzgl. Instrumentarium und Spielweise als auch für die Hörenden. Ein Trinklied oder einen Saltarello-Tanz kann ich schnell erfassen und mich mitreissen lassen, hingegen erschliesst sich die subtile Schönheit einer Josquin-Motette oder die Raffinesse einer Orgeldiminution doch nur nach einer gewissen Vorbereitung, Einweihung oder Vermittlung. Ich finde es wunderbar, dass ihr mit eurer ReRenaissance-Konzertreihe gerade in Basel diesbezüglich für viele neue Türen geöffnet habt!
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