Chantez gayement

Von Genf bis Basel
So 31.10.21

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

«Chantez gayement» - Von Genf bis Basel

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arodie, Kontrafaktur, Imitatio, Umwandlung – in der Renaissance wurde Originalität nicht als absolute Qualität eines Künstlers betrachtet, sondern vielmehr als ein Versuch der Imitation und Wiederverwendung von Modellen, die von früheren Generationen hinterlassen wurden. In diesem Sinne präsentiert ReRenaissance im Oktober eine Auswahl an Psalmen aus dem Genfer Psalter, die von einem Komponisten zum anderen, von einem Dichter zum nächsten zirkulieren – bis zum Punkt, an dem die Singenden selbst die frühe Musik mitgestalten.

Jean-Christophe Groffe – Stimme; Leitung | Doron Schleifer, David Munderloh, Matthieu Romanens – Stimme | Olivier Wyrwas – Tischorgel | Leitungsteam ReRenaissance: Tabea Schwartz | Workshopchor ReRenaissance | Das Publikum

Aquarellierte und lavierte Federzeichnung; Inv. 1886.8, Teil 2, fol. 27

Interview

Jean-Christophe Groffe – Sänger und Chorleiter

Thomas Christ (TC): Wie kamen Sie zur Gitarre und wie entwickelt man sich allmählich zum Barocksänger während eines musikwissenschaftlichen Studiums?

Jean-Christophe Groffe (JCG): Das ist einigen Zufällen geschuldet… Als ich ein Kind war, lebten wir auf dem Land, und da gab es in der Nähe einen Gitarrenlehrer. Dieses Instrument begleitete mich von meiner Jugend bis zu meinem Studium der Musikwissenschaft.

Während meiner Ausbildung habe ich auch Chorleitung studiert. Wir haben viel füreinander gesungen, so quasi als «Versuchskaninchenchor». Mir wurde bald klar, dass das Singen ein zentraler Bestandteil meines Lebens ist. Ich habe dann in Paris Gesang studiert… und später dann in Basel!

TC: Hätten Sie sich eine Karriere als Opernsänger mit Vorliebe für die Frühe Musik vorstellen können oder wären Sie eher Opernregisseur geworden? Sie sind bekannt für Ihre Begeisterung für szenische Arbeiten.

JCG: Wie ich schon sagte, habe ich das Singen durch die Mehrstimmigkeit entdeckt. Eine Opernkarriere hat mich nie gereizt, ein unglaublich harter Job und meiner Meinung nach auch undankbar… Ich bewundere einige Sängerinnen und Sänger sehr, habe aber keine Lust, diesen Beruf zu ergreifen! Ich mag es, Gesang mit kontextuellem Denken zu mischen, zu bereichern, darüber nachzudenken, wie man Musik präsentiert, wie man sie dem Publikum zugänglich macht. Das macht mich nicht zu einem Regisseur, aber ich liebe die Vielfalt der Aufgaben in meiner Praxis.

TC: Ihre Freude an szenischen Aufführungen haben sicher auch mit einem Interesse an Grenzüberschreitungen zu tun, und zwar nicht bloss von der musikalischen in die bildende Kunst, sondern auch von der Vergangenheit in die Gegenwart. Können Sie uns etwas über jenen Brückenschlag von der Alten in die zeitgenössische Musik erzählen?

JCG: Hier müsste man definieren, was «Alte Musik» wirklich bedeutet. Als «Alte Musik» bezeichne ich eigentlich jedes Repertoire, das ich nicht selbst erschaffe. Als Interpret arbeite ich sehr häufig mit Komponisten zusammen und hatte in den letzten zwanzig Jahren das Vergnügen, unzählige Werke uraufzuführen. Wenn ich aber mit einem bereits bestehenden Repertoire arbeite, versuche ich mir immer wieder die gleichen Fragen zu stellen. Ob Josquin oder Stockhausen, ich versuche, die Musik mit einer neuen, heutigen Sichtweise zu verstehen, indem ich mich nach den Praktiken und Kontexten frage. Die Kombination von Renaissancerepertoire und Musik des 20. Jahrhunderts erscheint mir daher ganz natürlich.

TC: In der Szene der Frühen Musik fällt auf, dass sich die Barockmusik seit einigen Jahrzehnten einer grossen Beliebtheit erfreut. Der reiche Schatz der Renaissancewerke führt demgegenüber beinahe ein Schattendasein. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied, dieses Ungleichgewicht?

JCG: Man muss nur ein wenig tiefer graben, um das Repertoire der Renaissance zu entdecken! Und jener Musikschatz ist jedem zugänglich, der den Forschungsaufwand nicht scheut. Das barocke Repertoire ist vor allem auf der Opernbühne populär geworden. Die Barockoper ist vielleicht kein Mainstream-Event, sie hat aber zweifellos dazu geführt, dass das Repertoire des 17. Jahrhunderts in den Medien präsent ist. Das Repertoire der Renaissance ist oft intimer, was es schwieriger macht, ein sehr grosses Publikum zu erreichen. Aber vielleicht ändern sich die Dinge ja!

TC: Anlässlich unseres Oktoberkonzertes, welchem ja ein Chorseminar vorangestellt ist, interessiert uns insbesondere Ihr Credo als Chorleiter, dies umso mehr als ja bei diesem Konzert auch Laiensänger mitlernen und mitsingen sollen. Können Sie uns etwas als Chorleiter über Ihre Erfahrung des Laienchorsingens erzählen?

JCG: Wichtig ist, die Werke so einzustudieren – ob vokal, instrumental oder beides – dass das Musizieren wieder Spass macht! Das ist das Credo und die Idee, die mich leitet und die auch der musikalischen Praxis der Renaissance entspricht! Abgesehen von den professionellen Musikern bin ich immer wieder erfreut und erstaunt die Freude zu sehen, die Menschen am Singen haben. Singt! Die Welt kann dadurch nur besser werden!

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Kolumne

«Ich bin dabei … » von Martin Kirnbauer zu «Chantez gayement», Okt 2021

Vor einigen Jahren stiess ich in der NZZ bei der Besprechung einer Neuausgabe der Bibelübersetzung des Hieronymus auf die schöne Überschrift: «Bis Luther kam, sprach Gott Latein.» Man könnte den Gedanken aufgreifen und fortspinnen, dass er ‘nach Luther’ nicht nur in Deutsch, sondern auch in Französisch und vielen weiteren Sprachen sang, wie das ReRenaissance-Konzert am 31. Oktober zeigt und erlebbar macht.

Tatsächlich war mit dem Sprachwechsel eine der weitreichendsten und radikalsten Veränderungen in der Musik verbunden, die durch die Reformation ausgelöst wurden. In Basel etwa gilt als Startpunkt der Gemeindegesang der Psalmen, der am Ostersonntag 1526 erstmals im Gottesdienst praktiziert wurde. Damit wurde nicht nur die Rolle der Geistlichkeit eine andere, die hier ihre exklusive Position verlor (und mit ihr in der Folge auch die Organisten, die buchstäblich arbeitslos wurden). Im Zentrum des Gottesdienstes stand nun die Predigt, die von Liedern und Psalmen der Gemeinde eingerahmt wurde – ein ‘partizipatives Modell’ würde man es heute nennen.
Hierzu wurde ein neues Repertoire benötigt, dass teils neu geschaffen, teils durch Umtextierung und Umdeutung von bekannten Liedern dem neuen Zweck angepasst wurde. In Basel stammten die ersten Vertonungen aus Strassburg, später waren es die des sogenannten Genfer Psalter, der über Jahrhunderte und über alle Kontinente hinweg gesungen wurde.
Das ReRenaissance-Konzert am 31. Oktober 2021 bietet den Besucherinnen und Besuchern die einmalige Möglichkeit, gleichsam in einem ‘Reenactment’ die Psalmen mitzusingen. (Aber keine Angst, es gibt vorgängig eine Probe …)

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Programm

Programmbooklet Oktober 2021

Psalm 81 – Chantez gayement

1. Psalm 81 – Samuel Mareschal (1554–1640)
Basel, Universitätsbibliothek, Ms. F IX 49
(«Handschrift des Samuel Mareschal»)

2. Psalm 81 – Théodore de Bèze (1519–1605)
Les Pseaumes mis en rime francoise, bei Jean de Laon/Antoine Vincent, Genf 1562

3. Psalm 81 – Samuel Mareschal
Les Pseaumes mis en rime francoise, bei Jean de Laon/Antoine
Der gantz Psalter, bei Ludwig Koenigs, Basel 1606, 2. Auflage

 

Psalm 130 – Du fonds de ma pensée

4. Psalm 130 – Samuel Mareschal
«Handschrift des Samuel Mareschal»

5. Psalm 130 – Clément Marot (1496–1544)
Les Pseaumes mis en rime francoise

6. Psalm 130 – Samuel Mareschal
Der gantz Psalter

7. Fuga in d – Samuel Mareschal
«Handschrift Mareschal Ms. F IX 47/48 UB Basel»

8. Psalm 130 – Roland de Lassus (1532–1594)
Cent cinquante pseaumes de David, bei Barthelemi Vincent, Lyon 1583

 

Psalm 1 – Qui au conseil

9. Psalm 1 – Samuel Mareschal
«Handschrift des Samuel Mareschal»

10. Psalm 1 – Clément Marot
Les Pseaumes mis en rime francoise1

11. Psalm 1 – Johannes Buxtorf (1564–1629)
Basel, Universitätsbibliothek, A XII 16
(«Hineh lecha scheloschah mizmorim»)

12. Psalm 1 – Paschal de l’Estocart (1537/38–1587)
Cent cinquante pseaumes de David

13. Psalm 1 – Claude Le Jeune (1525/30–1600)
Premier livre, contenant cinquante pseaumes, bei Pierre Ballard, Paris 1602

14. Intonation Dorius – Samuel Mareschal
«Handschrift Mareschal Ms. F IX 47/48 UB Basel»

15. Psalm 1 – Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621)
Cinquante Pseaumes de David, Amsterdam 1604

 

Psaume 33 – Resveillez vous chascun fidele

16. Psalm 33 – Samuel Mareschal
«Handschrift des Samuel Mareschal»

17. Psalm 33 – Clément Marot
Les Pseaumes mis en rime francoise

18. Psalm 33 – Samuel Mareschal
Der gantz Psalter

19. Psalm 33 – Claude Goudimel (1505–1572)
Les pseaumes mis en rime, bei Francois Jaquys Erben, Genf 1565

 

Psalm 9 – De tout mon cœur t’exalteray

20. Psalm 9 – Samuel Mareschal
«Handschrift des Samuel Mareschal»

21. Psalm 9 – Clément Marot
Les Pseaumes mis en rime francoise

22. Psalm 9 – Samuel Mareschal
Der gantz Psalter

23. Fuga in d – Samuel Mareschal
«Handschrift Mareschal Ms. F IX 47/48 UB Basel»

24.Psalm 9 – Claude Le Jeune
Premier livre, contenant cinquante pseaumes

25.Psalm 9 – Jan Pieterszoon Sweelinck
Cinquante Pseaumes de David

 

Psalm 1 – Qui au conseil

26.Psalm 24 – Samuel Mareschal
«Handschrift des Samuel Mareschal»

27. Psalm 24 – Clément Marot
Les Pseaumes mis en rime francoise

28. Psalm 24 – Jan Pieterszoon Sweelinck
Cinquante Pseaumes de David

Galerie

2024

April

Ad Narragoniam

Musik aus dem Narrenschiff
So 28.04.24 17:45 Intro 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Mai

Jouissance vous donneray

Ein Gemälde erwacht
So 26.05.24 18:15 Uhr

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

September

Die Bassanos

Hommage an die Blockflöte
So 29.09.24 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Oktober

Magnum opus musicum 1604

Nachruf auf Orlando di Lasso
So 27.10.24 18:15 Konzert

Martinskirche
Basel

November

Du Fay 550

Musik fürs ganze Leben
So 24.11.24 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Dezember

Nun singet

... und seid froh!
So 29.12.24 17:45 Mitsing-Workshop 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel