La Contenance françoise

A cappella rund um Binchois
So. 23.02.25 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

O

stermontag 1405: Der Erzbischof von Bourges weiht die Sainte-Chapelle des Herzogs von Berry, die in seinem Palast untergebracht ist. Mit dieser Institution tritt der Herzog von Burgund ganz offensichtlich in Konkurrenz zu den königlichen und fürstlichen Kapellen und will diese überbieten, darunter an prominenter Stelle die Sainte-Chapelle von Paris.

Das vorliegende A-cappella-Programm enthält eine Auswahl von Chansons, die eine kontinentale Klangwelt ausreizt, bevor in der folgenden Generation die vielgerühmten Klänge Englands – die sogenannte «Contenance angloise» – den Ton angeben sollten.

Eintritt frei; Kollekte

Tessa Roos – Cantus

Doron Schleifer – Cantus

Loïc Paulin – Contratenor & Tenor

Cyril Escoffier – Contratenor & Tenor

Raitis Grigalis – Contratenor & Tenor

Matthieu Romanens – Contratenor & Tenor; Leitung

2. Aufführung in Bern
22. Februar 2025 um 19:30 Uhr
Mehr Infos

 

Das Château de Dourdan in "Avril," aus "Les Tres Riches Heures du duc de Berry", 1412

Interview

Matthieu Romanens, Sänger und Musikwissenschaftler der «Musiklandschaft vor 1600» antwortet auf Fragen von Dr. iur. Thomas Christ

Thomas Christ: Dein Weg von Fribourg nach Basel war zwar weit weniger weit als jener deiner Kollegen aus der Renaissance Szene. Wie kamst du vom begabten Jung-Pianisten zum Gesang des Mittelalters?

Matthieu Romanens: Von meinem ersten musikalischen Kontakt mit dem Klavier, das mir mein Vater in Gruyère beibrachte, bis zur Entdeckung des mittelalterlichen Gesangs in Basel war es ein langer und verschlungener Weg! Das Klavier habe ich 15 Jahre lang bis zum Abschluss eines Amateurzertifikats gespielt. Die Affinität zu Bach, Beethoven und Chopin war sehr gross, doch wusste ich, dass ich das Klavier nicht zu meinem Beruf machen wollte. Wahrscheinlich war die solistische Haltung des Pianisten vor seinem Rieseninstrument nicht das Richtige für mich – und ich fühlte damals schon Luft von anderen Planeten …

TC: Vielleicht noch genauer: wie kamst du bereits in jungen Jahren vom klassischen Gesang zur Liebe für die Anfänge der Gesangskunst des Mittelalters und der Renaissance?

MR: Etwas später, nach meinen ersten Schritten auf dem Klavier, kam ich mit liturgischer Musik und gregorianischem Gesang in Berührung. Mein erstes Solo habe ich als 12-jähriger Knabe des Kinderkirchenchors von Bulle (FR) im Requiem von Jan Dismas Zelenka gesungen. Der Dirigent, der später mein Musiklehrer am Gymnasium wurde, vertraute mir die gregorianischen Intonationen an. An diesen Abend werde ich mich immer erinnern: Ich habe mich so unter Druck gesetzt, dass ich nach dem Konzert, als die Anspannung von mir abfiel, mit Fieber im Bett lag!

Danach folgten viele Jahre des klassischen Gesangsunterrichts. In meinen Basler Jahren hatte ich zwei entscheidende Begegnungen: Zuerst René Perler, Gesangslehrer an der Musikschule, der mich dem Ideal des «wissenden Sängers» näherbrachte. Im Unterricht bei ihm habe ich neben Operettenarien viel Schütz, Monteverdi und Gregorianik einstudiert. Und dann kam die richtungweisende Begegnung mit Dominique Vellard. Da wusste ich, dass ich mit ihm Gesang mit Schwerpunkt Mittelalter und Renaissance an der Schola Cantorum studieren wollte.

TC: Auffallend ist auch die Parallelität deiner Studien der Sprachen und der Musik, nicht jeder Musiker hat einen Universitätsabschluss in französischer Linguistik, vielleicht kannst du uns etwas über jenen Brückenschlag vom Gesang zur Linguistik erzählen.

MR: Gleichzeitig zur Linguistik kam auch die ältere französische Literatur. Ich hatte grosses Interesse an historischer Linguistik, insbesondere am Altfranzösischen und den höfischen Chansons von einem Thibaut de Champagne zum Beispiel. Der Klang der Sprache, ihr Variationsreichtum, die dialektalen Anklänge und die Ausdruckskraft der mittelalterlichen französischen Dichtung haben mich in gleichem Masse begeistert wie die Entdeckung des modalen Gesangs. Als es an der Zeit war, das Trouvère-Repertoire zu singen, zum ersten Mal im Jahr 2018, war es, als ob alle Planeten in einer Reihe stünden.

TC: Als Doktorand im Fachbereich Musikwissenschaft an der Universität Basel gehörst du zu den jungen Kennern der Frühen Musik und kannst unseren Lesern sicher erklären, warum unsere ReRenaissance-Konzerte nicht nur von der hochkarätigen Performance, sondern unverzichtbar auch von der professionellen Erforschung der Musikwelt des 15. und 16. Jahrhunderts lebt. Wo findet man die Quellen? Wie ersetzt man fehlende Stimmen?

MR: Ich glaube, dass einige KollegInnen aus meinem Musikkreis viel besser darin sind als ich, neue Quellen aufzudecken und fehlende Stimmen zu rekonstruieren! Bei diesem Konzert am 23. Februar sind es übrigens eher Teile von Liedtexten, die fehlen. Aber auch hier habe ich mich nicht getraut, hineinzudichten. Ich glaube, der Musikwissenschaftler in mir möchte seine Nase wieder in die Quellen stecken, um Stücke aufzuspüren, die direkt vor unseren Augen liegen (sogar online in hoher Auflösung!) aber oft vernachlässigt werden, weil sie anonym oder noch nicht Bestandteil der Aufführungstradition sind.

Ich versuche immer wieder, die Quellen zu hinterfragen: Was wollte der Komponist, der Schreiber oder der Kompilator in einer bestimmten Handschrift erreichen? Kann ich ein Stück weit versuchen, diese Intentionen aufzudecken und gegebenenfalls klanglich umzusetzen?

Für dieses ReRenaissance-Konzert hatte ich das Glück, mich mit David Fallows, dem grossen Spezialisten für das französische Chanson-Repertoire, auszutauschen. Wir haben uns auf Interpretationsvorschläge für einige überraschende Stücke des Programms geeinigt. Wir hoffen, dass sie am 23. Februar auf der Bühne überzeugen!

TC: Die Musik der Renaissance und des Mittelalters fristet im grossen Musikmarkt im Gegensatz zum Barock und der Klassik noch ein Nischendasein, dennoch entdecken wir beim Basler Publikum ein grosses Interesse für die weitgehend unbekannte Musikwelt vor 1600. Wie beurteilst du die Entwicklungschancen in der Suisse Romande?

MR: Wenn Vereine wie ReRenaissance den Mut haben, sich für einen weniger bekannten Teil der Musik einzusetzen, dann sind die Entwicklungschancen sehr gross! In der Romandie stelle ich fest, dass die KonzertveranstalterInnen, z.B. bei einem Festival für geistliche Musik, eine gut dosierte Mischung zwischen bekannten Werken des Barocks und unbekannten Klängen aus dem Mittelalter oder der Renaissance anstreben. So kann man aus dem Vertrauten heraus mehr Publikum für das Ungehörte gewinnen.

Diese Strategie verfolge ich im Greyerzerland auch mit meinem Verein La Grue Baroque, auf Deutsch: Der Barockkranich (Der Kranich ist die Wappenfigur von Gruyère). Trotz des Namens «Barock» nimmt unser Verein mindestens zweimal im Jahr Konzerte mit Musik aus dem Mittelalter und der Renaissance unter seine Fittiche.

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Kolumne

Ich bin dabei! 

David Fallows

Ein Tag, den ich nie vergessen werde, war im Sommer 1987 auf dem Kongress der International Musicological Society in Bologna, als Paula Higgins den musikalischen Reichtum des Hofes des Duc de Berry in Bourges offenlegte.

Natürlich wussten wir alle von seinen prächtigen Handschriften: darunter die Très riches heures und die grossartigste der Machaut-Handschriften. Aber niemand schien daran gedacht zu haben, seine Kapelle näher zu untersuchen. Und als Higgins die Namen der Komponisten aufzählte, die nur aus der berühmten Musikhandschrift aus dem Veneto bekannt sind (heute unter der Signatur MS Can. Misc. 213 in der Bodleian Library zu finden), wurde uns klar, dass hier die wahren Wurzeln der Revolution lagen, die Dufay und Binchois in den Jahren kurz vor 1420 auslösten.

 Ein Grossteil dieser Musik wurde noch nie gehört. Man darf also gespannt sein, ob Matthieu Romanens diesen Stil zu Recht als Contenance françoise bezeichnet hat.

Besonders freue ich mich auf die Gruppe der Stücke von Guillaume Legrant. Der Musikwissenschaftler Reinhard Strohm hat darauf hingewiesen, dass sie alle im gleichen Stil gehalten sind. Er bemerkte auch, dass das erste Lied aus der Sicht des umwerbenden Mannes geschrieben ist, das zweite die Antwort der Dame enthält und das dritte alle einlädt, sich an den Vergnügungen zu beteiligen. Die Chansons sind über die ganze Handschrift verstreut, aber Strohm lag mit seinem Vorschlag sicher goldrichtig, sie gemeinsam als eine Art Mini-Drama aufführen zu lassen.

Ein weiterer Höhepunkt ist meiner Meinung nach das Stück eines der einflussreichsten Komponisten dieser Generation, Pierre Fontaine. Sein Pour vous tenir enthält zwei Liedtexte, wieder aus Sicht von Liebhaber und Geliebter, die jeweils die gesamte Länge eines Rondeaus umfassen und zusammen ein weitläufiges Tableau bilden. Das sollte uns helfen, die wahrhaft dichten Texturen dieser Musik zu geniessen. 

Übersetzung: Marc Lewon 

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Programm

1 Adieu m’amour et ma maistresse – Gilles Binchois (1400–1460)

Oxford, Bodleian Library, MS. Canon. Misc. 213 («Oxford Codex»), fol. 86v

2 Pastourelle en un vergier – Pierre Fontaine (c1380–c1450)

Oxford Codex, fol. 121v122r

***

3 Filles a marier Gilles Binchois

Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, MS Urb. Lat. 1411, fol. 13v–14r

4 J’ayme bien celui qui s’en va – Pierre Fontaine

Bologna, Museo Internazionale e Biblioteca della Musica di Bologna, Q15, fol. 281r

5 La plus belle et doulce figure – Nicolas Grenon (c1375–c1456)

Paris, Bibliothèque Nationale de France, Département des Manuscrits, NAF 6771 (Codex Reina), fol. 114v–115r

6 Mon seul voloir / Certes m’amour – Johannes Cesaris (fl.°1406–1417)

Oxford Codex, fol. 122r

***

7 Gloria – Guillaume Legrant (fl.°1405–1449)

Oxford Codex, fol. 104v–105r

8 Ariere tost – Johannes Cesaris?

Oxford Codex, fol. 43v

9 Ma chiere maistresse – Guillaume Legrant

Oxford Codex, fol. 96v–97r

10 Pour l’amour de mon bel amy – Guillaume Legrant

Oxford Codex, fol. 94r

11 Or avant gentilz fillettes – Guillaume Legrant

Oxford Codex, fol. 111v–112r

***

12 Je vueil vivre au plaisir d’amours – anonym

Oxford Codex, fol. 124v

13 Pour la doulour / Qui dolente – Johannes Cesaris

Oxford Codex, fol. 84v

14 Esclave puist yl devenir – Gilles Binchois

San Lorenzo de El Escorial, Palacio Real, Monasterio de San Lorenzo, MS1, fol. 44v–45r

15 Pour vous tenir / mon doulx amy – Pierre Fontaine

Oxford Codex, fol. 95r

 

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Historisches Museum Basel

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Byrd and the Baron

A secret Christmas
So. 30.11.25 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

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