Winds and Waves

Auf den Spuren des Schiffstrompeters Zorzi Trombetta
So 30.08.20

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

«Die Piffari spielen zum Tanze auf». Cassone adimari, Lo Scheggia, Galleria dell‘Accademia, Firenze

Auf den Spuren des Schiffstrompeters Zorzi Trombetta

W

as tun, wenn man als ausgebildeter Trompeter keine Arbeit hat? Warum nicht auf einem Schiff anheuern? Das Signalgeben war im 15. Jahrhundert offizielle Funktion der Trompeter an Bord. Doch offenbar gehörte es nebenbei auch dazu, für den Tanz aufzuspielen. Das zeigt die persönliche Handschrift des venezianisch-griechischen Schiffstrompeters Zorzi (Georg) Trombetta, dem dieses Programm gewidmet ist. Sogar mehrstimmige Chansons befanden sich in Zorzis Repertoire, wofür er offenbar mit weiteren lauten Bläsern als «Alta Capella» zusammenspielte – einer festen Ensemblebesetzung aus Schalmei, Pommer und (Zug-)Trompete. Zorzis Spuren lassen sich nach Venedig weiterverfolgen, wo er mit seinen Söhnen Mitglied der berühmten «Piffari del Doge» wurde.

Ann Allen – Pommer | Hanna Geisel – Schalmei, Pommer, Dudelsack | Nathaniel Wood – Zugtrompete, Posaune

Video

Puisque m’amour / Winds and Waves

Puisque m’amour – John Dunstable (1390–1453) Live aus dem Konzert August 2020«Winds and Waves» – Auf den Spuren des Schiffstrompeters Zorzi Trombetta
Ann Allen – Pommer; Hanna Geisel – Schalmei, Pommer, Dudelsack; Nathaniel Wood – Zugtrompete, Posaune

Interview

Ann Allen – Barockoboistin und Schalmeispielerin

Thomas Christ (TC): Den geneigten Konzertbesucher:innen fällt auf, dass es keines der frühen Instrumente ohne starke Veränderungen in die Welt der Klassik geschafft hat. Vielen Zuhörer*innen mögen sogar die Namen mancher Saiten- oder Blasinstrumente unbekannt sein. Wie kamst du als junge Musikerin zur Schalmei oder zum Dulcian?

Ann Allen (AA): Obwohl ich seit meinem fünften Lebensjahr Blockflöte spiele, habe ich mich wie viele Kollegen zeitlich in die Vergangenheit «zurückgearbeitet». Als Kind war die moderne Oboe mein Instrument, aber rückblickend stelle ich fest, dass die Frühe Musik zu meiner Bestimmung werden sollte.

Ich erinnere mich noch an meine grosse Begeisterung, als wir im Jugendorchester Händels Feuerwerksmusik spielten, oder daran, dass ich an jenem Wochenende der ersten Barocksonate das Instrument nicht aus der Hand legen wollte. Natürlich wusste ich zu dieser Zeit kaum etwas über die Welt der Barockmusik, geschweige denn über die der Renaissance oder des Mittelalters, aber ich fühlte, dass diese Stücke mich besonders berührten. Mit fortschreitendem Alter wurde meine Leidenschaft für die Frühe Musik ernsthafter, und an der Universität tauschte ich die moderne Oboe gegen die Barockoboe. An der Schola Cantorum Basiliensis schloss ich schliesslich Bekanntschaft mit der Schalmei und dem Dulcian – und dabei blieb ich.

TC: Kannst du uns bitte kurz etwas über die Herkunft der Schalmei erzählen: Wann hatte sie ihre Blütezeit? Gibt es Orte, wo sie sie heute noch im nicht-historischen Kontext gespielt wird?

AA: Wie viele Instrumente, die im Mittelalter und der Renaissance populär wurden, hatte auch die Schalmei ihren Weg über die Musiker der nahöstlichen Kulturen aber auch der östlichen und südlichen Mittelmeergegenden nach Europa gefunden. Abbildungen von schalmeiähnlichen Instrumenten sind bereits aus dem 13. und 14. Jahrhundert bekannt, aber die Blasinstrumente des August-Konzertes „Winds and Waves“ stammen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Die Schalmei wurde damals sehr populär und in der Alta Capella war sie in jeder Stadt, in jedem Dorf, am Hof und sogar – wie unser Konzert zeigt – auf den Schiffen zu hören.
Der Ton des Instruments wird im Wesentlichen durch die Vibration zweier Holzrohrstücke erzeugt (Doppelrohrblatt). Schalmeiähnliche Instrumente finden sich auf der ganzen Welt. So traf ich letztes Jahr während meiner Ferien auf ein Schalmei-Duo eines thailändischen Orchesters – mit grossem Vergnügen tauschten wir unsere Erfahrungen aus und verglichen unsere Instrumente –«Google translate» sei Dank! Aber auch in Frankreich, Spanien und Italien sind schalmeiähnliche Blasinstrumente heute noch fester Bestandteil der traditionellen Musik.

TC: Seit einigen Jahrzehnten erfreut sich die Barockmusik grosser Beliebtheit, alle bedeutenden Opernhäuser haben die Opern von bekannten und unbekannten Komponisten in ihre Programme aufgenommen. Bei ReRenaissance stellen wir fest, dass die Neugier und das Interesse für die noch frühere Musik des 15. und 16. Jahrhunderts gross ist. Besitzt Basel mit seiner Schola Cantorum eine Vorreiterrolle oder stellst du diesen Trend auch in anderen europäischen Städten fest?

AA: Obwohl wir besonders bei der Mittelalter- und Renaissancemusik immer noch von einem Nischeninteresse reden müssen, scheint sich das Repertoire der Alten Musik sowie die historische Aufführungspraxis zu einem etablierten Genre der klassischen Musik hin zu entwickeln. Dieser Trend ist in der ganzen westlichen Musikwelt erkennbar. Ich habe in einigen europäischen Städten gelebt, aber keine dieser Städte lebt diesen Trend in der professionellen Tiefe und Aufführungsfrequenz wie Basel. Natürlich sind in verschiedenen Ländern unterschiedliche Vorlieben und Trends anzutreffen, aber durch die Ausstrahlung der Schola Cantorum ist Basel zu einer Art Epizentrum der Frühen Musik geworden und so auch zu einer Brutstätte für kommende Generationen und neue Ideen zu Praxis und Forschung.

TC: Die Visualisierung des Musikerlebnisses liegt dir sehr am Herzen, du inszenierst Barockopern und kennst dich in der Kunst des mittelalterlichen Tanzes aus. Geht es dir um ein ganzheitliches Musikerlebnis?

AA: Ja, ich hatte immer einen visuellen Bezug zur Musik. Wenn ich Musik höre oder in einem Konzert sitze, erscheinen mir oft Bilder von Tanzszenen, oder ich stelle mir vor, wie eine Transformation der Musik in ein erweitertes Seh- und Hörerlebnis gestaltet werden könnte. Obwohl die Musik allein in ihrer Erfahrung für Ohr und Geist zur reinen Freude werden kann, bin ich überzeugt, dass ein Konzert oder eine Live-Aufführung alle Sinne der Zuhörer:innen ansprechen und so zu einer akustischen und visuellen Erfahrung werden sollte.

TC: Du liebst auch das Musikexperiment und inszenierst sogenannte Crossover-Projekte, bei welchen Elemente der mittelalterlichen Musik mit modernen Melodien verschmelzen, frühe und freie Musik treffen aufeinander. Erzähl uns etwas über diese geschichtliche Befreiung: Eignen sich die volkslied-ähnlichen Melodien der frühen Zeit besonders für dieses Spiel?

AA: Als gebürtige Londonerin bin ich in einem multikulturellen Umfeld aufgewachsen und freute mich an der Lust des Zusammenspiels und des experimentellen Vermischens, ob es nun die Küche, die Kleidung oder eben die Künste waren. Rückblickend stelle ich fest, dass es mir im Umgang mit der Frühen Musik ähnlich gegangen ist. Ich hatte das Glück, über zehn Jahre hinweg das Festival «Nox Illuminata» zu leiten; dort war Experimentierfreude gefragt: Frühe Werke wurden mit modernen Musikstilen konfrontiert oder mit Tanz-, Theater- oder Videoeinlagen kombiniert. So blieben auch Opernkreationen nicht frei von neuen Einflüssen, Purcells «Dido und Aeneas» erschien im Jazzkleid als «Play it again Dido». Was mir damals besonders Spass machte und am Herzen lag, war das Zusammenspiel von frühen Tanzmelodien mit modernen Jazzrhythmen, wobei wir bekannte, weltliche Renaissance- oder höfische Mittelalterklänge mit einem Jazz- oder Rocktrio aus Bass, Gitarre und Schlagzeug ergänzten. Es war eine grossartige Erfahrung, Musiker*innen unterschiedlichster künstlerischer Herkunft bei der Transformation dieser Melodien und Rhythmen zu erleben – und damit ein neues Publikum zu begeistern, das zu adaptierten Melodien tanzte, zu welchen bereits vor Hunderten von Jahren getanzt worden war.

weiterlesen

Kolumne

«Ich bin dabei … » von David Fallows zu «Winds and Waves», Aug 2020

Eines der grossartigen Ereignisse, das zu meinen Lebzeiten stattfand, war die Bergung der Mary Rose – das Prisenschiff Heinrichs VIII, das 1545 während der Seeschlacht im Solent mit 500 Seeleuten an Bord überraschend und in Anwesenheit von Heinrich VIII und seinem Hofstaat vor aller Augen gesunken war. 1982 war schliesslich die Technologie zur Hebung des Schiffs verfügbar; und sein Erhaltungszustand war dermassen gut, dass viele erstaunliche Details zutage traten.

Unter den geborgenen Gegenständen befanden sich zwei Fideln, ein Streichbogen, drei Einhandflöten, eine Trommel und eine „stille“ Schalmei – allesamt offenbar notwendig für ein Kriegsschiff, das England gegen eine französische Invasion zu verteidigen hatte. Nur ein Jahr zuvor hatte Daniel Leech-Wilkinson seinen Artikel über eine Handschrift der British Library veröffentlicht, die zuvor keiner von uns besonders ernst genommen hatte, da sie einen so chaotischen und beliebigen Eindruck machte. Es handelte sich um die Handschrift des venezianischen Seemanns Zorzi Trombetta, die jetzt unter der Signatur Cotton Titus A.xxvi zu finden ist. Leech-Wilkinson zeigte, dass die musikalischen Teile der Handschrift ganz einfach für ein Ensemble an Bord eines Schiffs niedergeschrieben wurden, das von Venedig aus segelte; und es schien, und scheint immer noch, dass der grösste Teil der Musik wohl Bearbeitungen für ein Ensemble aus Schalmeien und Zugtrompete sind, also das, was wir eine Alta Capella nennen. Ich für meinen Teil habe für verschiedene Veröffentlichungen über die Jahre hinweg immer wieder auf diese Handschrift zurückgegriffen, die Musik aber nie von einer Alta Capella gespielt gehört. Darum werde ich dabei sein.

(Übersetzung: Marc Lewon)

weiterlesen

Programm

1. Ave maris stella – Guillaume Dufay (1397–1474)
Bologna, Museo Internazionale e Biblioteca della Musica, Q15, fol.321v

2. O Maria maris stella – Johannes de Lymburgia (vor 1400bis nach 1431)
Q15, fol.308v–309r

3. Vergene bella – Guillaume Dufay
Q15, fol.237v–238r

4. Basse danse «Souvent mes pas» («ttenor souvent mes pas»)– anonym
arr. von Hanna Geisel
Notizbuch des Zorzi Trombetta: London, British Library, CottonTitus A.xxvi, fol.7r

5. Una ballatina franzese («ttenor d‘una ballatina franzese»)– anonym
arr. von Nathaniel Wood
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.5r

6. Bel accueil – Antoine Busnoys (1430–1492)
Mellon Chansonnier: New Haven, Beinecke Library for RareBooks and Manuscripts, 91, fol.1v–2r

7. Tenor «Gie se far danser le dames» («je sais fait danser lesdames») – anonym
arr. Hanna Geisel
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.8r

8. Ma belle dame souveraine – Guillaume Dufay (1397–1474)
Codex Oxford: Oxford, Bodleian Library, Ms. Canon. Misc. 213,fol.140v

9. Puisque m’amour – John Dunstable (1390–1453)
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.7v
Weitere Contratenores: El Escorial, Palacio Real, Monasterio de San Lorenzo, V.III.24, fol.4v–5r,
Trento, Museo Provinciale d‘Arte, MS 1375, fol.84v
Basel, Contratenor von Nathaniel Wood

10. Je me recomande – anonym
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.5v

11. Une fois avant que mourir – anonym
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.4v–5r

12. En ce printemps («ttenor en ce printemps») – anonym
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.7r

13. Qu‘en puis je mais – anonym
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.4r

14. Basse danse «Avignon» – anonym
arr. von Ann Allen, Hanna Geisel, Nathaniel Wood
Brüsseler Basse Danse-Manuskript: Brüssel, Bibliothèque Royale Albert,
I Ms. 9085, fol.9v

15. Jour à jour la vie/quand avoir – Guillaume de Machaut (1300–1377)
Notizbuch des Zorzi Trombetta, fol.3v
Codex Faenza: Faenza, Biblioteca Comunale, MS 117, fol.43r–v
Codex Reina: Paris, Bibliothèque nationale de France, NAF6771, fol.66r

16. Triste plaisir – Gilles Binchois (1400–1460)
Codex Oxford, fol.56v

17. Basse danse «Triste plaisir» – anonym
arr. von Hanna Geisel
Brüsseler Basse Danse-Manuskript, fol.15r

18. Tandernaken – Jacob Obrecht (1457/58–1505)
Ottaviano Petrucci: Harmonice musices Odhecaton A, Venedig 1501 (Druck), fol.69r

Galerie

2024

April

Ad Narragoniam

Musik aus dem Narrenschiff
So 28.04.24 17:45 Intro 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Mai

Jouissance vous donneray

Ein Gemälde erwacht
So 26.05.24 18:15 Uhr

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

September

Die Bassanos

Hommage an die Blockflöte
So 29.09.24 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Oktober

Magnum opus musicum 1604

Nachruf auf Orlando di Lasso
So 27.10.24 18:15 Konzert

Martinskirche
Basel

November

Du Fay 550

Musik fürs ganze Leben
So 24.11.24 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel

Dezember

Nun singet

... und seid froh!
So 29.12.24 17:45 Mitsing-Workshop 18:15 Konzert

Barfüsserkirche
Historisches Museum Basel